Heessen
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Bildseite 1
Anlage 1
Karl-Liebknecht-Siedlung
Das Arbeitslager

Die „Nissenhütten“ in Heessen.

von Polizeihauptkommissar a.D. Siegfried Paul, Hamm

 

Viele ältere Bewohner der „Neuen Kolonie“ in Hamm- Heessen, werden sich erinnern, wenn der Name „Nissenhütten“ fällt. Anderen wiederum sagt er überhaupt nichts. Wer oder was waren nun diese „Nissenhütten“?

„Nissenhütten“ nannte man seit 1840 Gebäude aus vorgefertigten Blechteilen, die der englischen Offizier Peter  Nissen entwickelt hatte. Sie bestanden  aus Wellblech, welches in Form einer halben Tonne auf die Erde gelegt wurde.  Ihre Kopfstücke wurden zunächst mit Holzwänden versteift. Sie konnten in großer Stückzahl gefertigt werden, waren  schnell aufzubauen, gut zu transportieren und daher kostengünstig,  vor allem von der Armee zu verwenden. Da sie nicht isoliert waren, wurden sie vor allem in den englischen Kolonien eingesetzt.

Nach dem 2. Weltkrieg wurden diese „Nissenhütten“ als Notunterkünfte vor allem in den britisch besetzten Gebieten Deutschlands aufgebaut. Die vorgefertigten Wellblechteile wurden natürlich aus England eingeführt und vor Ort zusammen gebaut. Dabei entstanden Nothäuser in variabler Länge, die mit gemauerten Wänden an den Enden versteift wurden. Im Inneren wurden leichte Zwischenwände gezogen. So entstanden  Wohnungen aus Wohnküchen, zwei Schlafzimmern Speisekammer und einem Abstellraum. Die Wohnfläche betrug  ca. 40 qm und beherbergte durchaus auch zwei Familien. Es kam aber auch vor, dass bis zu 10 Personen in einer Wohnung lebten.

In Heessen wurden 17 „Nissenhütten“ am Neuen Kamp errichtet. Der „Neuer Kamp“ war ein ehemaliger landwirtschaftlicher Weg, der zwischen Vogelsang und Mansfelder Str. in Richtung Uedinghoff, dem ehemaligen Bauhof der Zeche Sachsen führte. Neben diesem Weg war eine Wallhecke, die mit Bäumen durchsetzt war und die Felder des Bauer Vogelmann  begrenzten. Dieser Weg wurde vor allem benutzt, um den Dasbecker Friedhof zu erreichen, der seit 1930 in Betrieb war. Auch andere landwirtschaftliche Wege durchzogen das Gelände, so z.B. hinter den Häusern der Mansfelder Str. bis zur Lütticher Str. (später Rosa Luxemburg Str.), zum Konsum Nüsperling.  Dieser Konsum lag an dem Teil der Lütticher Str., der zwischen Mansfelder Str. und der Uedinghoffstr. liegt.

Der landwirtschaftliche Weg, der nun zur Straße „Neuer Kamp“ wurde, wurde im Herbst 1947 planiert und es wurden die ersten Grundmauern gegossen. Damit war der Bau der „Nissenhütten“ vorbereitet und die Errichtung der Wohnungen richtete sich nur noch nach dem Eintreffen der Wellblechteile. An der Baustelle war auch eine Feldlorenbahn aufgebaut, die dem Transport der Baustoffe diente. Da diese Bahn von der Uedinghoffstraße zur Mansfelder Str. hin nicht unerhebliches Gefälle aufwies, war hier nach Feierabend ein idealer Spielplatz für die Jugend aus der „Neuen Kolonie“ und dem Vogelsang entstanden. Nach einem  Unfall, bei dem ein Kind schwer verletzt wurde, stellte der Bauherr, die Zeche Sachsen, einen Nachtwächter ein. Dies war der Berginvaliden Ferdinand  Kalisch, der in der „Neuen Kolonie“, in der Lütticher Str. 26 wohnte.

1948 begann dann die eigentliche Montage der „Nissenhütten“ und im Mai 1948 zogen die ersten Familien dort ein. So zog am 5. Mai 1948 die Familie Springfeld als Erstbezieher in die „Nissenhütte“  Neuer Kamp 2 ein.  Nach Berichten der Familie Springfeld, waren die Nissenhütten 2 Monate zuvor fertiggestellt worden. Insgesamt standen 17 „Nissenhütten“  am „Neuer Kamp“.  15 der Hütten standen mit der Kopfseite zum Neuen Kamp und Hütten standen mit der Kopfseite zur Uedinghoffstr.  Nur am Rande sei vermerkt, dass die Straße von der Jugend in der Neuen Kolonie nur „New Camp“ genannt wurde. In späteren Berichten tauchte dann auch die Bezeichnung „Klein London“ auf, die aber wohl nur von Außenstehenden genutzt wurde.

Ab 1949 zeichnete sich dann der Neue Kamp als Brennpunkt für die Heessener Polizeidienststelle ab. Schlägereien, vor allem unter Alkoholeinfluß, Diebstähle, aber auch Messerstechereien, waren bald nichts Besonderes mehr. Aber auch andere Vorfälle dort sind mir noch in Erinnerung. So gab es eine „Engelmacherin“ und einmal  war ein Todesfall nach einer Abtreibung zu beklagen.  Betrugsfälle waren eigentlich an der Tagesordnung. Da wurde z.B. von einem Händler Waschpulver in großen Mengen bestellt, allerdings vergessen zu bezahlen. Ein anderer Bewohner hatte versucht, mit einer Nutriazucht Geld zu verdienen. Die legte er in einem Abwasserschacht hinter den Häusern an, der eigentlich zum Abwassersystem gehörte.  Der Gipfel war erreicht, als Hundefleisch verkauft wurde, das angeblich gegen Rheuma helfen sollte. Ja es war eine wilde Zeit und die dort lebenden Menschen waren teilweise durch den Krieg völlig entwurzelt. Gleiches war ja auch in anderen Not- und Behelfswohnungen anzutreffen. Hier verweise ich auf die Siedlung am „Schacht III“ und auf die Barackensiedlung auf dem alten „Schießstand“ der Wehrmacht, am Leerfeldweg. Diese Siedlung erhielt auf Antrag der KPD im Rat der Gemeinde Heessen den Namen „Karl-Liebknecht-Siedlung“. Übrigens wurde auch die Lütticher Str. in Heessen auf Antrag der KPD in Heessen in „Rosa-Luxemburg-Str.“ umbenannt. Die Bewohner wurden nicht befragt, demokratische Spielregeln waren noch nicht geläufig.

In allen Fällen gab es unter den Bewohner natürlich auch ganz “normale“ und „gesetzestreue“ Bürger und genau diese versuchten nun schnell in andere Wohnungen zu gelangen.  In vielen Fällen gelang es allerdings erst nach Jahren.

Die „ Nissenhütten“ in Heessen hatten erst nach rund 11 Jahren ausgedient. Bis dahin haben viele Einwohner gewechselt und „Neue“ mussten einziehen. Die Vorgänge dort habe ich selbst erlebt, wohnte ich doch damals in Heessen, Lütticher Str. 26 und der Berginvalide Ferdinand Kalisch war mein Großvater. Meine Tante wohnte im dritten Haus an der Mansfelder Str. und sie erlebte dort das tägliche Leben hautnah mit. Mit Jürgen Springfeld, dem damaligen Bewohner des Neuer Kamp 2, bin ich noch heute befreundet und er hat mir freundlicherweise die nachfolgenden Bilder zur Verfügung gestellt. Ironisch meint Jürgen heute manchmal, dass außer ihnen noch eine zweite Familie dort wohnte, die lesen und schreiben konnte. Natürlich ist dies bewusst übertrieben. 

1959 wurden die Häuser an der Marienburger Str. bezugsfertig und die Familie Springfeld zog aus den „Nissenhütten“ aus. Zu dieser Zeit waren die zwei „Nissenhütten“ an der Uedinghoffstr. bereits abgerissen und die „Nissenhütten“ 7 bis 13 waren ebenfalls abgebrochen. Noch brauchbares Baumaterial holten sich die Bergarbeiter aus den Kolonien. Sie bauten sich Ställe in ihre Gärten.

Nach 11 Jahren hatte dies Provisorium ein Ende gefunden. Übrigens, die Notwohnungen am Schacht III und auf dem Schießstand bestanden weiter.  In beiden Siedlungen hatte ich ebenfalls Freunde und auch Schulkollegen.

Bekannt sind mir heute noch folgende Bewohner der Nissenhütten.:

Nr. 1.  Karl Räse , danach Familie Brettschneider und dann Familie Schlottmann oder Schoppmann

Nr. 2.  Familie Springfeld (Erstbewohner, danach Abriß)

Nr. 3.  Familie Schütt, danach Familie Schlottmann oder Schoppmann, (Verwandtschaft von Nr. 1)

Nr. 4.  Familie Korte , später Familie Grotthoff oder Groothoff, danach Familie Beschnitt.

Nr. 5.  Familie Marquardt

Nr. 6.  Familie Schmidt

Nr. 8.  Familie Heidenreich ( ein Sohn ging mit mir zur Bockelwegschule)

Nr. 10. Familie Zils ( Sohn war im CVJM Heessen)

 Zu den Feldlorenbahnen ist eine Anmerkung zu machen. Ein Bahngleis wurde in den 50er Jahren am Wäldchen an der Uedinghoffstr. verlegt und die Geleise führten zur Ziegelei der Firma Beumer an der Einmündung Dasbecker Weg- Veistraße. Hinter dem Hof Uedinghoff bis zum Dasbecker Friedhof wurde damals Lehm abgebaggert und zu Ziegeln verarbeitet. Für die Kinder aus der Neuen Kolonie natürlich ein Spaß, auf die Loren zu springen und mit zu fahren. Der Zugführer war allerdings nicht so begeistert. Später wurde das abgebaute Gebiet wieder aufgeschüttet und genau an dieser Stelle fand dann das jährlich Belegschaftsfest der Zeche Sachsen statt, welches zuvor an der Buschschule und dem TUS-Sportplatz stattgefunden hatte.

Hier muss ich eine weitere Anmerkung machen. An der Einmündung Mansfelder Str. – zum TUS-Sportplatz, war damals eine weitere Notunterkunft aufgestellt. Es handelte sich um eine Baracke, die rechtsseitig, gegenüber der Wohnung des Polizeibeamten Stecher aufgebaut war. Hier wohnte die Familie Knapp. Herr Knapp war auf „Montage“ in England und seine Gattin musste als Alleinerziehende mehrere Kinder erziehen. Leider konnte ich trotz aller Bemühungen keine Fotos dieser Baracke finden.

In der Anlage können Sie einen Augenzeugenbericht über das Leben in den „Nissenhütten“ lesen, den  Jürgen Springfeld niedergeschrieben hat.

Übrigens gab es weitere „Nissenhütten“ auch im Ortsteil Herringen.

 

Nachsatz: Sollte Sie, lieber Leser, noch Erinnerungen an die „Nissenhütten“, die „Karl-Liebknecht-Siedlung“, die Siedlung am „Schacht III“, die alte Kaserne in der späteren „Neuen Heimat“ oder an das Arbeiterlager der Zeche-Sachsen auf dem Knapp haben, oder sollte Sie sogar noch Bilder von dort haben, setzen Sie sich bitte mit mir in Verbindung unter: Siegfried Paul, Weidekampstr. 21, 59063 Hamm, oder rufen  Sie mich an unter 02381- 25083. Herzlichen Dank.