Weststr. 9
Home Polizeisport Kontakt Wachen 1921-2007 Polizei Aktuell Bürgernahe Polizei Heessen Bilder Sammlung Die Polizeiführung Polizeiärztlicher Dienst Hamm 1944 Hamm 1945 Die Hochbunker Gedenktafel Reichskristallnacht Polizei und Musik Polizeigruppenposten Puppenbühne Wissenswertes Bergamt Hamm Weststr. 9 Hammer oder Hammenser Das erste Auto in Hamm zu meiner Person Gästebuch

 

Bildseite 1

Das Haus Weststraße Nr. 9 , vom „Bayrischen Hof“ über „Die Quelle“,

bis zu „Chen`s Restaurant“.

 

 

Von Polizeihauptkommissar a.D. Siegfried Paul

 

Das Haus Weststr. Nr. 9 wurde 1902 umgebaut und aufgestockt. Damals hieß die Weststraße noch „Große Weststraße“. Dies geschah zur Unterscheidung zur „Kleinen Weststraße“, so hieß damals die heutige Martin-Luther-Straße. Umgebaut wurde das Haus für die Restauration „Bayrischer Hof“, die sich im Erdgeschoß genau an der Stelle befand , an der heute „Chen`s Restaurant“ seine Gäste willkommen heißt. Inhaber des „Bayrischen Hof“ war Heinrich Hötte, der in dem Hause auch wohnte. Die Innenansicht auf alten Postkarten zeigt, dass der „Bayrische Hof“ fast detailgenau so aufgebaut war, wie es heute „Chen`s Restaurant ist.  Auch damals gehörte die Adresse Große Weststraße 9 schon zu den besten Adressen der Stadt Hamm. Erwähnt wird der „Bayrische Hof“ schon im Meldebuch der Stadt Hamm von 1886 . Geschichten lange vor dieser Zeit belegen aber, dass der „Bayrische Hof“ noch viel älter war.

     Links neben dem „Bayrischen Hof“ befand sich das „Cafe Plate“, damals wohl das beliebteste Cafe in Hamm. Rechts neben dem „Bayrischen Hof“ eröffnete 1908 der Vater des bekannten Hammer Geschäftsmannes Peter Rosenberger, das erste Geschäft „Rosenberger“. Das war in dem Geschäftslokal, wo sich heute „Kodi“ befindet. Nach dem zweiten Weltkrieg beherbergte das Haus Weststraße 9, welche im dritten Reich „Adolf-Hitler-Str.“ hieß, nun das Lokal „Quelle“.  Nach leichten Bombenschäden war die Front umgebaut worden und hatte nun zwei Eingänge. Links war wie heute der Eingang zur „Quelle“ und zum Wohnhaus, rechts war ein Eingang, der in den heutigen hinteren Bereich von „Chen`s Restaurant“ führte und der von der „Quelle“ abgetrennt war. Hier führte Erhard Hesse die „Isabell-Bar“. Übrigens der Erhard Hesse, der später für Berni Cornfeld die berühmt berüchtigte IOS-Aktie vermarktete, die auch der FDP-Chef Erich Mende anpries. Hesse gab dann die „Isabell-Bar“ auf und zum Ende der 60er Jahre verschwand die Bar und die „Quelle“ allein war im Erdgeschoß Weststraße 9 Mieter. Später übernahm die Sparkasse Hamm die Räumlichkeiten. Im Jahr 2006 erwarb der Hammer Geschäftsmann Chen das Haus und errichtete an historischer Stelle erneut ein Restaurant. Chen war den Hammensern schon aus der Nordstraße bekannt, hatte er doch schon lange ein Restaurant im Haus Hasebrink geführt. 

Wie spielte sich das Leben im Hause Weststraße 9 eigentlich in früheren Jahren ab. Dazu eine Geschichte aus alten Tagen. Niedergeschrieben nach alten Unterlagen der Frau Ilsemarie von Scheven, ehemalige Stadtarchivarin der Stadt Hamm. Die Niederschrift befindet sich in der Polizeihistorische Sammlung Hamm. 

Es ist nun auch schon wieder geraume Zeit her, da zeichnete ein betagter Hammer Handwerkmeister auf, was sich  in der Familienüberlieferung als köstliche Anekdote  erhalten hatte:

„Mein Großvater war bei der Revolution von 1848 als Feldwebel in Münster. Bei der Niederkämpfung der Aufstände hatte man ihm mit einer Dachpfanne das Schienbein schwer verletzt. Im Lazarett ausgeheilt, war er nach 14jähriger Dienstzeit das Soldatensein leid. So bekam er die schöne Stellung als Polizeidiener nach Hamm, mit einem schönen Gehalt von zehn Talern im Monat, dazu ein Häuschen am Ostentor (gegenüber unserer heutigen Stadtbücherei). Nach heutigen Begriffen ähnelte es eher einem Hühnerstall; dazu gehörte ein Streifen Land zwischen Ost- und Widumstraße.

Damals war ein Hammer Stammlokal, wo sich alles traf, der „Bayrische Hof“, Große Weststraße (später: Die Quelle und heute „Chen`s Restaurant“). Ein Liter Bier vier Pfennig ! Hier ging es meist hoch her. Sommertags war in Hamm um 10 Uhr, im Winter um 9 Uhr Polizeistunde. Auf dem Kirchturm befand sich die Nachtwächterstube, von wo aus die Stadt, wegen Feuersgefahr, immer in Augenschein genommen werden konnte.

Die Trunkenbolde, wie man zu sagen pflegte, zogen nach der Polizeistunde oft johlend und triumphierend durch die Stadt nach Hause. Die Frauen, mit Bettjacke bekleidet, standen am Fenster und beschimpften die nach Hause ziehenden Nachtschwärmer. Gegen diese letzteren nun sollte der junge Schutzmann energisch einschreiten. Mit zweistöckigem Polizeihelm und krummen Säbel tat er das auch. Einige Radauhelden wurden verdonnert, ein „Käßmännken“ Strafe zu zahlen(25 Pfennig). Man muss bedenken; Die Leute verdienten nur eine Mark pro Tag, bei zwölfstündiger Arbeit !  Am nächsten Abend war man über den jungen Ordnungshüter sehr erbost. Es wurde Kriegsrat gehalten, wie man denn wohl diesem infamen Schutzmann einen Streich spielen könne...?

Der November brachte viel Schnee. Also wurde im geheimen beschlossen, den Aufpasser mitsamt seiner Familie im Schnee einzuschaufeln !  Gesagt, getan. Die jungen Leute vom „Bayrische Hof“ wurden alarmiert, sich mit Schaufeln zu bewaffnen.  Ein Doppelposten wurde ausgestellt. Er sollte aufpassen, wann die Familie schlafen ginge. Das Häuschen am Ostentor war mit Blendladen versehen, mit Ausguckherzen darin. Wie nun die Polizistenfamilie zu Bett war, zogen die Attentäter mit Schüppen los. In lautloser Arbeit wurde das Schneewittchen-Häuschen sorgfältig mit Schnee eingedeckt, ganz und gar.

Alles lag in süßer Ruhe. Obwohl es Nacht war, ging die Nachricht rasch von Haus zu Haus. Im Morgendämmern versammelten sich allerlei Schaulustige: alle wollten doch sehen, wie der Polizeimächtige in seinem Schneewittchen-Haus  eingeschaufelt war !  Zuerst wurde seine Frau wach. „Ferdinand, stoh op, es wird Tiet !“ Der Ehemann sah zum Fensterherzchen, - alles dunkel. „Dreih die üm un schlopp !“ knurrte er.

Nach einiger Zeit wiederholte die junge Frau ihre Worte, Ferdinand müsse aufstehen. Er antwortete nach einem Blick zum Herzchen, genau wie zuvor, sie möge weiterschlafen. Schließlich wurde sie energisch: „Ferdinand, -ick glöw dat bald Mittag iss !“  Also stand er auf, machte sich dienstfertig, schnallte um und ergriff die Pickelhaube. Vergebliches Rütteln an jeder Tür! Alles fest.  Die Fenster dunkel, die Laden gingen nicht auf !  Etwas verdattert stieg er die Leiter zum Boden hinan. Auch hier war alles dunkel. Vorsichtig nahm er ein paar Dachpfannen in die Höhe und spähte hinaus. Und da sah er die Bescherung: Sein ganzes Häuschen stak im Schnee ! Wie er nun so mit der Pickelhaube auf dem Kopf durch die Dachpfannen guckte, rief alles; „Er iss schon opp !“ Derweil läuteten an der katholischen Kirche die Mittagsglocken.

Ganz Hamm hat gelacht, und wie ! Jeder, der dem famosen Schutzmann begegnete, meinte schmunzelnd: „ Du hast aber gut geschlafen!“ Am Abend, im „Bayrischen Hof“, ging das Gelächter erst richtig an. Aber seinen Dämmerschoppen hatte der Gefoppte gratis. Den hatten die Schneeschaufler im voraus für ihn bezahlt.“

 

Nachsatz des Verfassers: 

Bei dem obigen Polizeidiener handelte es sich um den Ferdinand Marx aus Hamm. Marx war verheiratet mit der Anna Maria Henriette geb. Schultze aus Schmiedberg in Sachsen. Nach seinem Tode 1884, zog Henriette Marx in das Haus Große Weststr. 14. Ein Bild sehen Sie in der Anlage. Da nach der obigen Erzählung Marx etwa um 1850 Polizeidiener geworden war, dürfte sich die Geschichte etwa in dieser Zeit ereignet haben. Zumindest war also der „Bayrische Hof“ bereits in dieser Zeit ein beliebtes Hammer Restaurant.

In Unmittelbarer Nähe des „Bayrischen Hof“, Am Marktplatz, stand übrigens die „Germania“. Das war ein Kriegerdenkmal, welches in der Straßenflucht der Großen Weststraße und der Oststraße auf dem Marktplatz seinen Platz hatte. Das Denkmal war am 22.3.1875 enthüllt worden. Es zeigte die „Germania“, zur Erinnerung an den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Übrigens hatte sich von den Nachbargemeinden nur Rhynern an den Baukosten beteiligt. Umgesetzt wurde das Denkmal 1914. Es musste einer zweiten Spur von Straßenbahnschienen weichen und wurde auf den Hügel am Großen Exerzierplatz gebracht, wo es noch heute steht.

Ein Nachsatz sei mir noch erlaubt. Die Große Weststraße hieß bis ins 18. Jahrhundert „In der Hökerei“. Der Ausdruck „Hökern“ kommt aus dem Plattdeutschen und bedeutet soviel wie Handeln, Kaufen und Verkaufen. Am bekanntesten ist deshalb auch heute noch der Ausdruck etwas „verhökern“, was einfach verkaufen heißt. Eine „Hökerei“ ist also ein kleiner Laden. Genauso sah es „In der Hökerei“ damals auch aus. Kleine 2geschossige Kaufmannsläden standen in der späteren Großen Weststr.. Nach dem 2. großen Brand der Stadt Hamm von 1748, wurden nur noch vorgeschriebene 2geschossige Traufenhäuser errichtet, da man glaubte, die Giebelhäuser haben zu der erheblichen Brandgefahr beigetragen. Erst ab 1870 wurden dann in der nun auch schon Große Weststraße genannten Straße, Häuser auch 3geschossig errichtet.

( Die Information zum letzten Absatz erhielt ich ebenfalls  von Frau von Scheven)