Hamm 1945
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1945 -2-

Das Ende des II. Weltkrieges aus der Sicht der Hammer Polizei.

 

von Polizeihauptkommissar a.D. Siegfried Paul

 

Um die letzten Kriegstage und die Nachkriegszeit bei der Hammer Polizei zu verstehen, lässt man am besten Kollegen zu Wort kommen, die diese Zeit selber erlebt haben. Mit vielen ehemaligen Polizeibeamten habe ich lange Gespräche geführt und dabei Tonbandaufzeichnungen mitgeschnitten. Geholfen hat mir vor allem die Tatsache, dass ich als Pensionärs- und Versicherungsbetreuer für die Kreisgruppe Hamm, der Gewerkschaft der Polizei tätig war. So kann ich heute mit Stolz sagen, dass es keinen Pensionär der Hammer Polizei gibt, den ich nicht kenne. Besonders beeindruckend fand ich zwei Gespräche, die ich deshalb auch an dieser Stelle zuerst aufgeschrieben habe. Es handelt sich erstens um ein Gespräch mit dem Kollegen Erich Bulian vom 02.03.1981 und zweitens um ein Gespräch mit der Witwe des Kollegen Mazzoli vom 31.10.1985. 

 

Hier die Erinnerung des Kollegen Bulian:

 

     „ In den letzten Kriegstagen, Anfang April 1945, ging es auch bei der Polizei in Hamm drunter und drüber. Wir durften das Revier nicht verlassen. Was sich bei unseren Familien abspielte, erfuhren wir kaum noch. Ich selbst machte damals als Polizeimeister  Dienst beim 2. Revier, das war auf der Wilhelmstraße. Dort erfuhren wir jedoch, was sich in der Stadt und bei den anderen Revieren abspielte. Auch von Gerüchten blieben wir natürlich nicht verschont.

 

Ich habe die letzten Tage so in Erinnerung.:

 

     Am Ostersonntag, das war der 1.April 1945, erfuhren wir, dass die Amerikaner das Revier im Norden übernommen hatten. Der Kollege Voß  (Revierleiter d. Autor) war bis zum Einzug der Amerikaner auf dem Revier geblieben und wurde dort auch gefangen genommen. Fast  alle übrigen Polizeiangehörigen hatte er vorher noch zur Polizeidirektion geschickt. Einige von ihnen wurden aber noch gefangen genommen. Kollege Voß wurde auch nur kurz festgesetzt und machte wenige Tage später schon wieder Dienst auf dem Revier. Allerdings war auch ständig ein amerikanischer Offizier auf dem Revier. In der Nacht war auch die Brücke über den Kanal und die Lippe gesprengt worden. Dies soll noch von deutschen Soldaten geschehen sein. Von da an war das Gebiet nördl. der Lippe fest in amerikanischer Hand.

Am anderen Tage, das muß also am 2. April gewesen sein, waren die Amerikaner bereits im Bahnhof. Sie waren vom Norden her über die Rollbahn der Bahnanlage gekommen. Die Rollbahn, so nannten wir den Ablaufberg einer Verschiebeanlage, die teilweise über die breiten Brücken an der Hafenstraße ging. An den Tag kann ich mich auch noch gut erinnern, da ich über die Wilhelmstraße noch bis kurz vor den Bahnhof kam.  Ich  musste  mich  dann aber wieder zurückziehen, da amerikanische Truppen in Richtung Schwarzer Weg über die Bahnanlagen kamen. Außerdem sollten sie schon über die Hafenstraße nach Westen ziehen. Wie weit die da waren, wusste ich nicht. Bevor ich wieder zum Revier ging, konnte ich aber noch sehen, wie eine Gruppe von Hitlerjungen zum Bahnhof geführt wurde. Die kamen über die Bahnhofstraße aus dem Osten. Früher war da ein Steinmetz, wo heute „Horten“ steht (heute Yimpaz d. Autor). Ein Stück weiter war das „Corso“. Die Amerikaner hatten schon in der Nacht den Bahnhof erreicht und waren da wohl auch noch drin. Die Hitlerjungen wurden dann in Richtung  Bahnhof geführt. Alles nur so Jungs, kein Gewehr, keine Pistole, nur jeder hatte eine Panzerfaust. Geführt wurden die Jungen von ein paar SS-Leuten. Die wollten wohl den Bahnhof zurückerobern. Als sie dann um die Ecke in Richtung Bahnhof gingen, da schossen die Amerikaner schon aus dem Bahnhof. Auch aus unseren hinteren Stellungen wurde geschossen, die müssen irgendwo im Süden gewesen sein. Jedenfalls wurde sowohl der Bahnhof, als auch die Bahnanlage im Norden beschossen. Da sind dann viele von den Jungs am Bahnhof gefallen. Die Jungens hatten natürlich viel Mut und waren ja auch einfach blind. Die waren so erzogen worden und glaubten noch an den Endsieg, aber sie hatten nicht die geringste Chance. Dann lagen sie da auf dem Bahnhofsvorplatz. Alle so Jungs von 15 – 16 Jahren. Das war erschütternd. Später habe ich mich noch mit dem Major Levsen über diese Sache unterhalten. Major Levsen war der Kommandeur der Schutzpolizei und der war dann ab 5. April bei uns auf dem 2. Revier. Wo die Amerikaner jetzt genau standen, wussten wir nicht, wir hatten nur gehört, dass sie jetzt auch über Hamm-Osten kommen.  Wir versuchten dann am 3. April zu klären, wo die Amerikaner im Westen standen. Kollege Deckert hatte eine Gruppe von etwa 50 LS-Polizeibeamten zu führen. Diese Gruppe war für den Bereich von der Wilhelmstr. Bis zum Hafen zuständig. Ich selbst hatte eine Gruppe, die südl. der Wilhelmstr. eingesetzt war. In meinem Bereich waren noch keine Amerikaner. Im Bereich des Kollegen Deckert kamen Amerikaner über die Hafenstraße, wir konnten aber nicht genau feststellen, wie weit sie schon waren. Auf jeden Fall hatten sie dort ein Wiegehaus eingenommen, was kurz hinter der Brücke stand. Das Haus war dann aber kurze Zeit später von unseren Soldaten wieder erobert worden. Natürlich konnte die Polizei nicht direkt bis in die vorderste Linie, wir gehörten ja nicht zur kämpfenden Truppe und außerdem waren dort ja unsere Soldaten. Wir konnten nur versuchen, Erkenntnisse für unsere Arbeit zu bekommen. Wir hatten dann also von unseren Soldaten gehört, dass das Wiegehaus wieder in unserer Hand sei. In den Morgenstunden des 4. April hat dann eine Pionierabteilung von unseren Truppen versucht, die Brücke zu sprengen. Für uns war das gesamte Gebiet nicht mehr erreichbar. Allerdings hielten sich Kollege Deckert und ich noch im Bereich der Unionstrasse auf. Dort haben wir dann auch am  4. April, noch sehr früh am Morgen, eine heftige Detonation gehört. Später erfuhren wir von Soldaten, dass der Versuch, die Brücke zu sprengen, nicht gelungen war. Am gleichen Tage wurde bei uns auf dem Revier auch bekannt, dass der Polizeidirektor Rotmann den Befehl erhalten hatte, sich mit den jüngeren Polizeibeamten nach Süden abzusetzen. Dort sollte wohl mit der Wehrmacht eine neue Stellung eingerichtet werden. Später hörten wir, dass dieser Befehl vom Kampfkommandanten, dem Oberst Damisch, gegeben worden war. Jedenfalls hat uns das noch der Major Levsen mitgeteilt. Aber das war erst am nächsten Tag. Jedenfalls war Polizeidirektor Rotmann dann tatsächlich nicht mehr in der Stadt. Wir hatten aber noch Kontakt zur Direktion und bekamen auch vereinzelt noch Befehle von dort.

Einen Tag später, also am 5. April 1945, war dann jedoch Dr. Rotmann wieder in der Stadt. Auch das erfuhren wir von Major Levsen, der nun auf dem 2. Revier war. Bei ihm war auch der Polizeiarzt Dr. Wilms. Dr. Wilms war ja auch der leitende Luftschutzarzt in Hamm. Major Levsen erzählte und auch weiter, dass bei Kump die Polizei mit der Wehrmacht zusammengetroffen war. Dort hatten unsere Leute noch ihre Gewehre an die Wehrmacht gegeben. Außerdem waren dann bei einem Tieffliegerangriff die Fahrzeuge der Polizei getroffen worden. Polizeidirektor Rotmann hat dann den Befehl gegeben, dass die Polizeibeamten wieder nach Hamm zurückkehren sollten, da es nun nur noch darum ging, Ruhe und Ordnung in Hamm zu gewährleisten und den Schutz der Bevölkerung zu sichern. Polizeidirektor Rotmann musste auch am 5. April wieder in Hamm gewesen sein, den wir erhielten noch einen schriftlichen Befehl von ihm, der der Bevölkerung bekannt zu machen war. (Vermerk d. Autor: Dieser Befehl hat tatsächlich existiert und beweist die Richtigkeit der Angaben des Koll. Bulian. Der Befehl wird anschließend abgedruckt.)

 

Wir haben auf dem 2. Revier natürlich auch über die Lage gesprochen und uns war klar, dass der Krieg nun unmittelbar vor seinem Ende stand. Es ging bei uns eigentlich nur noch ums Überleben. Major Levsen war es auch, der hier vorsichtig die Meinung vertrat, dar Kampfkommandant hätte jetzt zum Schluß noch so viel Kräfte wie möglich aus der Stadt abgezogen, um unnötige Verluste, auch unter der Zivilbevölkerung, zu vermeiden. Selbst in diesen Tagen musste man ja mit seinen Worten noch sehr vorsichtig sein.

Genauso hörten wir, dass nochverstreute SS-Leute in Hamm-Süden kämpften.

Jedenfalls wurde uns dann am anderen Tage, dem 6. April 1945 bekannt, dass der Polizeidirektor Dr. Rotmann, von Amerikanern in der Polizeidirektion festgenommen worden war. Also musste zu diesem Zeitpunkt die Direktion von den Amerikanern eingenommen worden sein. An diesem Tage waren auch schon amerikanische Truppen in Hamm-Westen. Sie waren ja über die Rollbahn und die Hafenstraße und über das Gelände der Union gekommen. Da hatten sie dann aber irgendwo halt gemacht.  Jedenfalls  war das  2. Revier noch nicht besetzt. Die Amerikaner kamen erst einen Tag später zu uns.  Als die Besatzung dann kam, waren Dr. Wilms, Major Levsen und alle auf dem Revier anwesenden Beamten, im Keller des Reviers. Unsere Pistolen hatten wir oben in der Wache abgelegt. Das war am 7. April 1945. Zuerst kam auf der Wilhelmstraße, vom Westen her, eine Gruppe Amerikaner. Die wurde geführt von einem Sergeant-Major. Außerdem fuhr ein Panzer an der Wache vor. Bei uns an der Wache war eine Panzersperre auf der Wilhelmstraße, die aber wirkungslos war und auch schnell beseitigt wurde. Der Panzer fuhr ein paar Mal dagegen. Dann kam ein amerikanischer Leutnant. Von uns hatte sich erst keiner getraut, aus dem Keller zu gehen, wir konnten aber alles aus dem Kellerfenster sehen. Der Kollege Klein und ich, wir sind dann aber doch nach draußen gegangen. Ich habe mich bemerkbar gemacht, indem  ich auf die Straße ging und zwar mit erhobenen Händen. Ich habe gerufen:

„Hallo, hier Police“ , aber die Amerikaner haben mich erst gar nicht beachtet. Sie wussten wohl nicht, was sie machen sollten. Dann habe ich gerufen: „Come in“ und dann kamen die Amerikaner tatsächlich zu uns und gingen in die Wache.  Das geschah ausgesprochen vorsichtig und sie haben ständig mit ihren Waffen gesichert. Als erstes haben sie gleich unsere Pistolen genommen und nach weiteren Waffen gesucht. Einer der Amerikaner sprach ein bisschen Deutsch und der sagte immer: „ Munition, Munition „. Wir haben sie dann an den Waffenschrank geführt und der wurde komplett ausgeräumt. Einige Amerikaner haben sich dann erst mal  die bestens Waffen „reserviert“. Dann mussten alle aus dem Keller kommen. Wir mussten nach oben  (1. Etage) in unseren Aufenthaltsraum. Als wir dann alle in dem Raum waren, kam auf einmal ein amerikanischer Leutnant. Der fing dann an mit uns zu exerzieren. Er jagte uns von einer Ecke in die andere und fuchtelte ständig mit seiner Pistole vor uns rum. Dabei sprach er gebrochen deutsch und wir befürchteten ernsthaft, er würde plötzlich in unsere Gruppe schießen. Kurze Zeit später erfuhren wir dann, dass der Leutnant Jude war und natürlich nicht gerade gut auf Deutsche zu sprechen. Für die meisten Amerikaner waren wir ja alle Nazis. Später mussten wir unsere Leute zusammenrufen und geschlossen vor dem 2. Revier antreten. Kollege Deckert und ich, wir waren als Zugführer für die LS-Polizei (Luftschutzpolizei, d.Autor) eingesetzt. Jeder hatte rund 50 Mann zu befehligen. Meine Leute standen von der Silberstraße in Richtung Daberg und Deckert`s Leute standen vom Vorsterhauser Weg zum Hafen. Seltsamerweise ließen mich die Amerikaner allein gehen. Eine Bewachung bekam ich nicht. Ich habe dann meine Leute zusammengeholt und mit den noch im Revier vorhandenen Polizeibeamten, einschließlich Major Levsen und Dr. Wilms, wurden wir dann zum Bahnhof geführt. Später kam auch Kollege Deckert mit seinen Leuten dort an. Am Bahnhof, vor der Post, wurden wir nochmals durchsucht. Vorher waren wir zwar schon im Westen durchsucht worden, aber vielleicht hoffte man bei uns noch etwas zu finden. Kollege Zielke, der auch auf dem 2. Revier war, hatte vorher eine goldene Uhr gehabt, die war ihm gleich abgenommen worden. Vielen von uns wurden ebenfalls die Uhren abgenommen. Also auch von den Amerikanern ist geplündert worden.

 

Wir haben dann eine Nacht im Bahnhof gelegen. Im Bahnhof traf ich auch noch andere Polizeibeamte, die vorher auf dem 1. Revier Dienst gemacht hatten. Am anderen Tage, dem 8. April 1945, wurden wir dann über die Rollbahn nach Hamm-Norden gebracht. Dort waren wir dann in einer Schule hinter dem Bockumer Weg. Das muß die Schule am Großen Sandweg gewesen sein, denn da war auch die Rettungsstelle untergebracht. Wir haben  dann dort auch nur einen Tag in der Schule gelegen. Dr. Wilms und Major Levsen wurden von uns getrennt. Einen Tag später habe ich aber festgestellt, dass Major Levsen schon am 8. April wieder zur Direktion gebracht worden war. Er musste die Führung der Polizei wieder übernehmen. Wir übrigen wurden am 9. April 1945 wieder nach Hause geschickt. Man hat uns nur registriert. Zu Hause mussten wir Zivil anziehen und uns dann auf den Revieren melden. Wir bekamen jeder eine Armbinde, auf der Polizei stand und mussten wieder Polizeidienst versehen. Waffen bekamen wir erst nicht. Auf der Wache hatten wir aber schon wieder einige Gewehre und eine amerikanische Pistole, die aber nur auf Anforderung rausgegeben wurde. Zuerst machten wir nur tagsüber Dienst, denn nachts galt ja auch für uns eine Ausgangssperre. Na, wir waren erst mal froh darüber, konnten wir doch wenigstens jetzt mal nachts schlafen. Vorher waren wir ja rund um die Uhr auf der Wache gewesen und konnten uns nicht mal um die Familie kümmern. Leider hat die Nachtsperre  dann nicht lange gehalten und wir musste wieder rund um die Uhr Dienst machen. Wenn man Glück hatte, bekam man jeden 4. Tag einmal frei. Dann mussten wir auch Nachtdienst machen. Das war dann ausgesprochen schwer, wir waren nämlich bis auf einen Holzknüppel unbewaffnet.

 

Im Westenschützenhof war ein Russenlager und da war natürlich jetzt was los. Die waren auf jeden Deutschen böse. Allerdings durften die auch nicht so ohne weiteres aus dem Lager, aber daran gehalten hat sich kaum einer. Die Amerikaner haben erst alle registriert und meistens haben sie auch ein Auge zugedrückt. Natürlich war auch bei den Russen die Verpflegungslage, wie ja auch bei uns, schwierig. Nun gingen die Russen natürlich oft los und plünderten. Wir konnten manchmal auch kaum was dagegen machen. Das ging noch eine ganze Zeit so. Später wurde in dem Lager auch noch der Kollege Bahlo erstochen. Den hat unsere Führung auf dem Gewissen. In dem Russenlager waren die Pferde der früheren Lagerverwalterin, Frau Köckmann, gestohlen worden. Die Russen wollten sie jetzt schlachten. Die Frau kam zu uns und bat um Hilfe. Da in dem Lager weiter eine große Unruhe war, haben wir bei der Direktion um Hilfe gebeten. Die Unterstützung wurde aber vom Kommandeur abgelehnt und vom ihm wurde befohlen, eine Gruppe von Beamten ins Lager zu entsenden, die Pferde zu sichern und für Ruhe zu sorgen. Na und da musste der Kollege Bahlo und einige ältere Hilfspolizeibeamte, die vorher bei der LS-Polizei gewesen waren, in das Lager. Die Gruppe der Polizei war 10 Mann stark. Sie hatte ganze 5 dänische Gewehre und kaum Munition. Kaum hatte die Gruppe das Lager erreicht, wurde sie auch sofort von den Russen angegriffen. Etwa 150 Russen kamen mit Spaten, Eisenstanden, Messern und Knüppeln auf die Gruppe zu. Alles schlug auf die Polizeibeamten ein. Nur mit größter Mühe gelang es dann den Beamten, sich aus dem Lager abzusetzen, aber drei Männer wurden doch erheblich durch Messerstiche verletzt. Von der Polizei wurde nicht ein Schuß abgegeben, dazu kam überhaupt niemand mehr.

   Der Kollege Bahlo ist dann später im Krankenhaus gestorben. Dieser Überfall im Russenlager war am 13. April 1945. Ich selbst habe damals auch den Bericht ins Wachbuch geschrieben.

 

Überhaupt bestand der Polizeidienst nach dem Krieg fast nur noch darin, die Bevölkerung vor Plünderern und Überfällen zu schützen. Dabei wurden die Polizeibeamten oft angegriffen und selbst die Amerikaner und Engländer, haben dann den Polizeibeamten die wenigen Gewehre, die ihnen von den Besatzungsmächten zugestanden worden waren, abgenommen. Na, dass das eine harte Zeit war, brauch ich wohl nicht zu sagen. Viele Kollegen leben ja noch, die die Nachkriegszeit mitgemacht haben.“

(Vermerk d. Autor: Die Ablichtung der Wachbucheintragung füge ich an. Übrigens durfte die Witwe des Verstorbenen erst am 25.8.1945 in dem Mitteilungsblatt Nr. 11, welches von den Engländern genehmigt worden war, den Tod ihres Mannes anzeigen.)

Soweit die Schilderung des Kollegen Bulian.

 
Die nun folgende Niederschrift des Gespräches vom 31.10.1985, mit der Witwe des Kollegen Mazzoli, ist für mich noch bedrückender, zeigt die Zeit aber in aller Deutlichkeit und Härte. Möge eine solche Zeit in Deutschland nie wieder möglich sein. Hier der Bericht:
 

     „ Die letzten Kriegstage in Hamm. Ja, die habe ich noch gut in Erinerung. Mein Mann war 1945 noch bei der Hilfspolizei, beim SHD. (Sicherheits- und Hilfsdienst. D. Autor). Wir haben ja in den letzten Kriegstagen noch einen Sohn verloren. Gefallen für den „Führer“. Da kann ich mich ja wohl natürlich genau an den Tag erinnern. Mein Sohn Arthur hatte am 29.3.1945 seinen 16. Geburtstag gehabt. Einen Tag später wurde er dann noch eingezogen. Er war ja schon bis dahin in der Marine-HJ. Am 30.3.1945 wurden die dann alle zum Dienst gerufen. Viele sind freiwillig gegangen, andere wurden von der Polizei geholt. Viele Eltern haben versucht, die Kinder zu Hause zu halten. Auch wir haben es versucht, konnten ihn aber gar nicht halten. Die Jungen waren wirklich überzeugt, sie könnten und müssten Deutschland noch für ihren Führer retten. Das kann man heute nicht mehr verstehen, aber es war so.

 

 

Die Jungen erfuhren am 30.3.1945 nur, dass sie nach Thüringen geschickt werden sollten. Zuerst mussten sie sich  aber in der Kaserne im Osten melden. Das war die Kaserne an der heutigen Georgs- Kirche. Dort haben sie dann Verpflegung und Waffen und teilweise wohl auch Uniform erhalten. Die hatten ja normal alle ihre Ausrüstung von der HJ zu Hause gehabt. Da brauchten sie nicht mehr viel. Außerdem bekamen sie aber Panzerfäuste. Sie wurden dann mit einem Zug zunächst in Richtung Süden gefahren. Der Zug kam aber nicht mehr durch. Bei Rhynern irgendwo wurde der Zug von Tieffliegern angegriffen und blieb liegen. Die Jungen wurden dann wieder nach Hamm geführt und mussten erneut in die Danevoux- Kaserne. Das haben wir aber alles erst später erfahren, von Freunden von unserem Arthur. Wir wohnten ja damals im Süden. Ich war an dem Tag im Schillerbunker. In Hamm ging ja damals alles so ziemlich drunter und drüber. Jedenfalls waren die Jungen dann am anderen Tage noch in der Kaserne und wurden dann am 31.3.1945 wieder von der Kaserne zum Bahnhof geführt. Da waren einige SS-Männer bei ihnen. Die kamen aber nicht aus diesem Raum, das waren Versprengte, die der Rückzug nach Hamm gebracht hatte. Sie wurden dann in einen Zug gesetzt und diesmal ging die Fahrt dann in Richtung Norden.

Der Zug war aber kaum aus dem Bahnhof raus, da bekam er schon in Hamm- Norden Feuer. Der Zug blieb auch diesmal liegen und die Jungen wurden dann am Bahndamm beschossen. Die Amerikaner waren wohl schon in Heessen und irgendwo im Norden. Mein Junge ist dann jedenfalls am Bahndamm in Hamm – Norden gefallen.   Kopfschuss.

Die Hitlerjungen, die noch wieder zurück konnten, sind durch den Bahnhof gekommen. Die haben dann später versucht, den Bahnhof wieder von den Amerikanern zurückzuerobern, als diese im Bahnhof waren. Da sind auch noch viele von den Jungen gefallen. Die Jungen waren ja auch überzeugt, sie könnten noch was retten. Aber das war Wahnsinn. Wir Eltern wussten gar nicht, wo die Kinder waren. Die SS- Truppen haben sich dann später abgesetzt. Aber keiner hat die Kinder weggschickt.

   Ich habe im Schillerbunker vom Tod meines Sohnes erfahren. Mit einem Sohn der Familie Hüde, das war der Kohlenhändler auf der Grünstraße, bin ich dann nach Hamm – Norden gefahren. Dort habe ich meinen Sohn dann auch gefunden. Er lag tot vor der Schule am Großen Sandweg. Dort war eine Rettungsstelle. Mein Sohn lag auf einer Trage. Obwohl noch kein Ausländer dort war, waren seine ganzen privaten Sachen weg. Seine Ausweise, seine Ausrüstung und seine Wäsche, alles war weg. Wir mussten dann zurück. Es hieß, die Amerikaner kommen und die Brücken werden gesprengt. Es gab auch einen Befehl, dass kein Toter über der Erde sein durfte, wenn die Amerikaner kommen. Also wurde mein Sohn vor der Schule beerdigt. Er hatte keinen Sarg und kein richtiges Grab. Aber wenigstens war ein Pastor dort. Mein Sohn wurde in eine eilig ausgehobene Grube gelegt. Sein Kopf wurde mit einem Tuch bedeckt und dann wurde er nach einem kurzen Gebet beerdigt. Das war so schrecklich.

    Ich musste  dann wieder nach dem Süden. In der Nacht wurden dann die Brücken an der Münsterstraße über Lippe und Kanal gesprengt. Ich habe dann noch mehrfach versucht, wieder in den Norden zu kommen, aber das war nicht mehr möglich.  Erst am 7.4.1945 war ich dann wieder im Bahnhof.  Einen Tag vorher war jedenfalls die Polizei besetzt worden und auch der Bunker an der Feidikstraße. Da war die Befehlsstelle der Wehrmacht und wohl auch der Polizei. Jedenfalls am Tag nachdem dort die Amerikaner waren, konnte ich aus dem Bunker Schillerstraße und zum Bahnhof. Da war die Hammer Polizei und wurde von den Amerikanern festgehalten. Da habe ich dann auch noch den Doktor Wilms gesehen. Der war Polizeiarzt und Leiter der Rettungsstellen. Wir durften aber keinen Kontakt mit der Polizei oder dem Doktor Wilms aufnehmen. Ein Amerikaner hat mich noch weggeschickt und zwar sehr böse. Der hat mir doch tatsächlich gedroht, er würde schießen. Dr. Wilms und die Polizei wurde dann aber in den Bahnhof gebracht. Sie müssen sich mal vorstellen. Vorher wollte die sogar noch meinen zweiten Sohn einziehen. Das war, bevor die Amerikaner kamen. Wir waren ja im Schillerbunker und im Feidikstraßenbunker war ja der Befehlsstand der Wehrmacht und der Polizei. Da wurden dann die Kinder noch als Melder eingesetzt. Die sollten dann noch den Kopf hinhalten und in dem Beschuß da noch Melder sein. Mein Sohn sollte ebenfalls noch Melder werden, aber das habe ich verhindert. Ich habe denen gesagt, einen Jungen habt ihr mir noch genommen, der zweite bleibt hier.

Sie können sich die Zeit ja auch nicht vorstellen. Aber wenn man überlegt, was im und vor dem Bunker so los war und wie selbst in den letzten Tagen des Krieges noch Parteibonzen das Sagen hatten, unfassbar heute.

Am Tage bevor die Amerikaner kamen. Wir saßen im Bunker. Raus wollte natürlich keiner mehr. Hier konnten wir ja überleben. Draußen war es ja viel zu gefährlich geworden. Da kam dann ein Parteimensch in den Bunker, seine eigene Frau saß ebenfalls im Bunker, und gab den Befehl, wir sollten den Bunker verlassen. Wir sollten tatsächlich aus dem Bunker, unsere Sachen packen und in Richtung Süden aus der Stadt, also in Richtung Berge. Da gab es einen unheimlichen Tumult im Bunker und auch davor. Viele wollten nicht gehen. Da ist es vor dem Bunker noch zu richtiger Panik gekommen. Da wurden Menschen verletzt und einige sind auch noch zu Tode gekommen. Ohne Fremdeinwirkung. Die sind überrannt worden. Mein Mann war auch am Bunker, die konnten aber nichts mehr machen. Später sind wir aber doch nach Hause gegangen und haben unsere Sachen geholt. Wir hatte ja schon vorher zu Hause einen Handwagen gepackt, mit den wichtigsten Sachen drauf.  Wir haben dann aber gemerkt, dass die Frau von dem Parteimenschen in dem Bunker geblieben ist. Wir sind dann auch wieder in den Bunker gegangen und dort geblieben. Das hört sich jetzt so einfach an, aber das war wirklich schlimm. Es herrschte teilweise noch Panik. Im Bunker waren wir aber doch sicher. Ich kann gar nicht sagen, wie wir da wieder reingekommen sind. Nur, diejenigen, die  nach Berge heraus die Stadt verlassen wollte, sind später noch beschossen worden. Im Süden und nach Berge raus, da haben ja tatsächlich noch versprengte SS-Leute und auch Hitlerjungen gekämpft. Im Tierpark sind ja auch noch welche gefallen.  Wir haben den Bunker erstmals am 6.4.45 verlassen, als die Amerikaner kamen. Am letzten Tag hatten wir noch eine weiße Fahne aus dem Bunker gehängt. Einen Tag später war ich dann am Bahnhof. Aber nach Hamm – Norden konnte ich noch nicht. Die Amerikaner ließen das nicht zu.

Erst am 11.4.1945 konnte ich dann nach Hamm – Norden und meinen toten Sohn heim holen. Mein zweiter Sohn war in der Lehre bei  Hackenholt, das war ein Schreiner im Norden. Der hat mir dann einen Sarg gemacht. Mit meinem Sohn bin ich dann zum Norden. Wir haben meinen Sohn Arthur dann am Großen Sandweg wieder ausgegraben und in den Sarg gelegt. Dann sind wir zur Stadt zurück. Über die Brücken konnten wir nicht. Die Münsterstraße war gesprengt. An der Rollbahn, also der Eisenbahnbrücke an der Hafenstraße, da waren die Amerikaner. Mit dem Sarg kamen wir da nicht durch. Also sind wir am Kraftwerk über die Schleuse gegangen. Da ist uns der Sarg noch hingefallen. Aber mit viel Mühe haben wir es doch geschafft. Wir haben unseren Arthur nach Hause geholt.

Einen Tag lang haben wir dann meinen Sohn zu Hause aufgebahrt. Am anderen Tage wurde mein Sohn dann auf dem Friedhof im Süden beigesetzt. Erst auf dem evangelischen Friedhof und später dann auf dem Ehrenfriedhof.“