Folge 2
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Die Reichskristallnacht in Hamm ( Folge 2)

Von Polizeihauptkommissar a.D. Siegfried Paul

 

Ein Artikel im „Westfälischen Anzeiger“, der sich mit einer Buch-Neuerscheinung über einen „Grünen Polizisten“ in Holland beschäftigte, nahm der Kollege Ernst Bolte aus Hamm zum Anlaß, mit mir Kontakt aufzunehmen. Dabei erzählte mir Kollege Bolte, dass auch er in Holland eingesetzt war und in dem gleichen Bataillon Dienst machte, in dem auch der Kollege in dem genannten Buch, seinen Dienst versehen hat. Dies war Anlaß eines ausführlichen Gespräches mit ihm, in dem ich dann auch auf seine Dienstzeit in Hamm zu sprechen kam. Mehr beiläufig stellte ich dann fest, dass Kollege Bolte in der Nacht vom 9./ 10. November 1938 in Hamm Dienst versehen hat und zwar auf dem 1. Revier in der Bismarckstraße. Der folgende Zeitzeugenbericht gibt darüber Kenntnis.:

 

 „Ich wohnte 1937 in Lippstadt. Meine Reichswehrzeit hatte ich abgeleistet. Beruflich hatte ich Schreiner gelernt. Meine damalige Freundin berichtete mir eines Tages, dass ich zur Polizei gehen könne. Dies hatte sie in der Zeitung gelesen. Also habe ich mich bei der Polizei in Lippstadt beworben. Dort war aber keine Stelle mehr frei und ich wurde nach Hamm verwiesen. Von der Hammer Polizei erhielt ich dann eine Einberufung zur Untersuchung. Ich wurde dann 1937 auch angenommen und in die neu gegründete Eindrittel-Hundertschaft eingestellt. Unseren Dienst versahen wir in der Polizeidirektion. Dort hatten wir Räume in der ersten Etage. Zunächst stand Schulung auf dem Programm. In der Hundertschaft lernte ich auch den Kollegen Heitböhmer kennen. Heitböhmer kam dann zur Kraftfahrstaffel im Hofe der Direktion. Ich kam in den Revierdienst und wurde im Oktober 1938 zum 1. Revier versetzt. Das 1. Revier war damals gerade in die Bismarckstraße verlegt worden. Das Haus, in dem das Revier war, lag an der Stelle, an der heute die Einfahrt zum Parkhaus des Arbeitsamtes ist, gegenüber der Einmündung Borbergstraße. Wir machten damals 24 Stunden Dienst und schliefen in der ersten Etage des Reviers. An die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 kann ich mich natürlich genau erinnern. Es war schon sehr ungewöhnlich.  Ab Mittag den 9. November durften wir das Revier nicht mehr verlassen. Wir haben uns damals keine Gedanken gemacht, wir waren junge Männer und brauchten nun nicht arbeiten. Wir haben auf dem Revier gesessen und Karten gespielt. Das war uns doch damals gerade recht. Allerdings kam es einigen auch schon recht komisch vor. Erst am Morgen des 10. November 1938 wurden uns die Vorgänge der Nacht bekannt. Wir wurden um 6,00 Uhr zum Einsatz gerufen. Mit dem Mannschaftswagen wurden wir nach Hamm Osten zur Jägerallee gefahren. Dort standen schon damals sehr schöne Villen. Bei unserer Ankunft wurden je 2 Beamte vor einigen Villen abgesetzt. Mit einem Kollegen musste ich dann ebenfalls vor einer Villa aussteigen und dann sahen wir, was dort los war. Die Villa, vor der wir nun Aufstellung nehmen mussten, war total verwüstet worden. Die Scheiben waren eingeschlagen und Einrichtungsgegenstände lagen zerstört im Garten. Und bei den anderen Villen war es genauso. Wir sollten nun darauf achten, dass nicht geplündert wurde. Obwohl, Zivilisten habe ich in der ganzen Zeit nicht gesehen. Auch die Nachbarn ließen sich auf der Straße nicht blicken. Nach 2 – 3 Stunden wurden wir wieder abgeholt. Zu weiteren Einsätzen wurde ich nicht eingesetzt. Was in der Stadt passiert war, habe ich eigentlich richtig erst nach Dienstende zu Hause erfahren.  Die Schilderung des Kollegen Heitböhmer kann ich nur bestätigen. Auch wir hatten von dem Brand am Ortgüterbahnhof gehört, wurden aber nicht eingesetzt. Die unmittelbaren Folgen der Nacht habe ich nach Dienstende gesehen. In der Badstraße, in der Bahnhofstraße, bei Ter Veen und bei Fahning, da war kaum eine Scheibe heil. Wir haben uns im Kollegenkreis zwar über die Vorgänge unterhalten, aber eigentlich wagte keiner eine Kritik anzubringen. Viele unserer Kollegen wurden dann ja auch schnell in andere Einheiten außerhalb Hamms versetzt. Ich z.B. wurde Anfang 1940 nach Köln versetzt. Dort gehörte ich nun zum 3. Polizei-Regiment Köln und wurde verwandt im 256. Pol.-Reserve Bataillon, in der 1. Kompanie. Dort gehörte ich zum 1. Zug und war Gruppenführer in der 3. Gruppe. Unsere Unterkunft war die Zugwegkaserne in Köln, eine sehr schlechte Unterkunft. Aus Hamm waren mehrere Kollegen dort. Erinnern kann ich mich an die Kollegen Dümmer, Mech, Kauke, Deppe, Westhues, Goebel, Kampert, Buchholz, Leitgeb.

 

(Anmerkung des Verfassers: Auf den Bildseiten sehen sie ein Foto der Stärketafel dieser Einheit.)

 

Die Kompanie stand unter der Führung von Hauptmann Schoenfelder. In Köln wurde wir auf unsere neuen Aufgaben vorbereitet. Vor allem stand auch Gefechtsdienst auf dem Ausbildungsprogramm. Außerdem wurden wir häufig zur Verkehrsregelung eingesetzt, wenn Militäreinheiten an die Westgrenze verlegt wurden. In der Eifel haben wir mehrere Wochen verbracht.

(Anmerkung des Verfassers: Auch hierzu habe ich Bilder des Kollegen Kauke auf die Bildseiten gesetzt.

 

Ab Sommer 1940 wurden wir aus Köln abgezogen und nach Holland verlegt. Zunächst  kamen wir nach Assen. 1941 wurden wir nach Rotterdam verlegt. Dort waren wir in einer Kaserne, die wir aber nicht verlassen durften. d.h. nicht in der Freizeit. Die Kompanie wurde allerdings von Rotterdam aus eingesetzt, z.B. kann ich mich an  Einsätze in Delft, Lockwaard, Den Haag und Deventer erinnern.

 

Im Herbst 1942 wurden wir nach Amsterdam verlegt. Jetzt gehörte ich zum 3. Polizeiregiment Köln, dem 256. Polizei Reserve Bataillon, der 3 Kompanie, dem 3 Zug an und war Gruppenführer der 9. Gruppe. Unsere Unterkunft befand sich im Kolonialmuseum Amsterdam. Die Ausstellungsstücke des Museums hatte man in den Keller geschafft. Eine weitere Einheit unseres Bataillon war in der Schule des Kolonialinstituts untergebracht. Das war im Prinzip der gleiche Gebäudekomplex, praktisch auf der anderen Hofseite. Hauptmann Schoenfelder war nicht mehr unser Chef. Die Hauptleute wechselte zu dieser Zeit laufend. Wir wurde auch längere Zeit nur von einem Oberleutnant geführt. Den Leutnant Zerbe habe ich  namentlich noch in Erinnerung. Er war auch einmal bei uns Zugführer. Wir wurden vor allem mit Ordnungsdienst beschäftigt. Einmal, am 1. Mai ,  wurde die Kompanie in einem Einsatz zum Hauptbahnhof Amsterdam entsandt. Dort sollte ein großer Überfall geplant sein. Auf der Fahrt gerieten wir aber in einen Hinterhalt und wurden beschossen. Das waren Leute vom „FN“. Das waren sog. Freiheitskämpfer der Holländer, die trugen Armbinden mit dem „FN“ (Free Nederland) am rechten Arm. Bei diesem Einsatz hatten wir 4 Tote. Später wurden wir auch eingesetzt, um Juden zu „Arbeitseinsätzen“ zu holen. So hatte man es uns gesagt. Andere Kompanien hatten  vorher auch so genannte Arbeitskarten an die Juden verteilen müssen. Darauf wurden die Juden aufgefordert, sich zu Arbeitseinsätzen zu melden. Viele sind dann auch gekommen. Später , wie bereits gesagt, musste wir die Juden zu diesen „Arbeitseinsätzen“ holen. Wir waren tatsächlich so naiv und haben an diese Einsätze geglaubt. Erst sehr viel später hörten wir, das diese „Arbeitseinsätze“ in Auschwitz endeten. Viele von uns „grünen Polizisten“ haben in der Anfangzeit ein Auge zugedrückt. Ich hatte einmal eine junge Jüdin, die gerade eine Geburt hinter sich gebracht hatte. Sie, ihre Mutter und ihr Mann blieben in der Wohnung. Andere Juden musste ich allerdings aus der Wohnung holen. Prompt stand dann auch mein Zugführer vor der Tür und fragte mich, ob alles in Ordnung sei. Ich bestätigte und Gott sei dank ging er nicht in die Wohnung. Wir haben unter Kollegen nicht über solche Sachen gesprochen, aber ich weiß, dass auch andere Kollegen häufig ein Auge zudrückten. Am Schlimmsten war die „schwarze Polizei“. Das waren holländische Polizisten, die von uns nur „Nazipolizei“ genannt wurden. Und diesen Hohn musst du dir einmal überlegen. Wir aus dem Nazideutschland nannten die „Nazipolizisten“. Da zeigt wohl, was das für Leute waren. Nach Kriegsende wurde die auch alle festgesetzt und wir machten noch Ordnungsdienst. Doch davon später. In Amsterdam waren wir ja auch erst noch beliebt. Es gab keine Ausschreitungen. Später, als die Judeneinsätze begannen, änderte sich das.  Als dann die Sache mit Anne Frank geschah, wurden wir noch zu dem Haus geführt und besichtigten es. Am 5. Mai 1945 haben dann ja die Kanadier Amsterdam eingenommen. Wir blieben in dem Kolonialmuseum. Von dort setzten uns dann die Kanadier ein. Wir mussten auf dem Königsplatz beim Vorbeimarsch der Kanadier führt Ordnung sorgen. Die „Nazipolizei“ war schon festgesetzt worden. Wir sollten nun der holländischen Polizei helfen. Das war sehr schwierig, wir konnte ja kaum etwas machen. Die Holländer betrachteten uns ja nur als Besatzer und nun Verlierer. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich meinen Leutnant fragte: „Meinen Sie nicht, wir sind hier über ?“ und der Leutnant sagte nur: „Wenn Sie meinen Herr Bolte, dann nichts wie in die Unterkunft.“ Und da blieben wir dann auch. Am 7.5.1945 sind wir dann offiziell gefangen genommen worden. Wir wurden nach Hoek van Holland gebracht in ein Lager. Ich hatte mich kurz vorher verletzt und war fußkrank. Mit einem Boot war ich über die Gracht gefahren und hatte der Einheit auf der anderen Seite, einer Gendarmerieeinheit,  einen Befehl überbracht. Beim Aussteigen aus dem Boot hatte ich mir einen großen Nagel durch den Fuß getreten und konnte nicht mehr laufen. Das hatte zur Folge, dass ich mit einem Auto nach Hoek van Holland gebracht wurde. Die anderen Polizisten mussten alle zu Fuß nach Hoek van Holland laufen. Auf dem Wege wurden sie von der Bevölkerung verhöhnt, bespuckt und auch geschlagen. In Hoek von Holland waren wir aber nicht lange, sondern wurden mit Booten nach Wilhelmshaven gebracht. Ich erinnere mich noch gut an einen älteren Deutschen, der bei unserer Ankunft am Hafen stand und sagte: „ So seht ihr Deutschland wieder.“ Von Wilhelmshaven aus wurden wir im Umkreis von 30 km um die Stadt auf die Dörfer verteilt. Unser Essen haben wir uns bei den Bauern erbettelt. Ein richtiges festes Lager gab es nicht. Nach 14 Tagen wurden wir dann erstmals in einer Lager gebracht. Das war in Essenz in Norddeutschland, da lagen wir dann in Baracken. Eine Seite des Lagerns wurde von der Polizei belegt, die andere Seite nahm SS-Männer auf. Weihnachten 1945 marschierte dann die SS geschlossen ab. Wir waren neidisch und wütend. Ausgerechnet die kommen schon frei, war unsere Meinung, warum müssen wir hier bleiben ?.  Dann erfuhren wir aber, dass sie in Gefangenenlager in Frankreich und Amerika  kamen und dort zum Arbeitseinsatz kamen. Sie kamen auch erst Jahre später wieder zurück. Am 26.5.1946 wurden wir dann aus einem Lager in der Lüneburger Heide entlassen. Einzeln mussten wir dann an einem englischen Offizier vorbei und der hat uns nochmals verhört. Der wusste ganz genau, in welcher Einheit wir gewesen waren und wie wir eingesetzt wurden. Ich glaube, die wussten auch genau, dass wir nicht in Gräuel um die Judenverfolgung verwickelt waren. So bin ich dann wieder nach Hamm gekommen. 1947 wurde ich dann wieder bei der Polizei eingestellt und ich versah zunächst meinen Dienst in der Wache Ost, in der Mark.

 

Nachtrag zur „Reichskristallnacht“:

Am Sonntag den 20. Juli 2008 erhielt ich von Hubert Holla die nachfolgende Zuschrift, die ich hier ungekürzt einstelle.

   „ Sehr geehrter Herr Paul, vielen Dank für Ihre interessante Internet-Seite. Mit Interesse habe ich Ihren Artikel über die Progromnacht der deutschen Diktatur gegen Deutsche, jüdischen Glaubens, gelesen. Und hier sind wir auch schon bei meinem Anliegen. Ich bin von Ihrer Rechtschaffenheit vollkommen überzeugt. Aber es sind Worte, die die Meinung bilden und manipulieren. Noch immer wird davon gesprochen, dass die Nazis Juden ermorden haben. Richtig ist, das eine deutsche Regierung deutsche Bürger ermorden lies. Wenn wir davon reden, dass die Nazis Juden getötet haben benutzen wir die Worte der Täter. Alleine dadurch, das wir die Begriffe der Diktatoren übernehmen sind wir denen schon auf den Leim gegangen. Die deutsche nationalsozialistische Diktatur, und ihre Schergen, hat Menschen ermordet, die auch jüdischen Glaubens waren.

Aber vor allen Dingen waren sie deutsche Bürger. Im Ausland dann natürlich Niederländer, Polen, Russen usw. Oft kommt es vor das davon berichtet wird das Juden und Deutsche ermordet wurden. In der Tat ist es so das immer Deutsche ermordet  wurden. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, das soll keine Kritik an Ihnen sein, sondern die Bitte darüber nachzudenken ob wir nicht in Zukunft die Dinge so benennen sollen wie sie wirklich heißen.

Aus Erzählungen in meinem familiäre Kreis weiß ich, das Deutsche vollkommen fassungslos waren weil die Schergen der Gestapo gestandene Frontoffiziere des ersten Weltkrieges abgeholt haben. „Aber ich habe meinem Vaterland doch immer treu gedient !“

Denken Sie mal darüber nach.

Wie schon gesagt, dies ist keine Kritik, sondern die Bitte mit mir darüber nachzudenken, wie wir in Zukunft unsere Worte besser wählen.

Hochachtungsvoll

  Hubert Holla „

 

Nachsatz:

Ich habe mit meiner Familie über diese Zuschrift gesprochen und wir

haben beschlossen, ihn hier einzustellen. Bitte teilen Sie mir Ihre

Meinung im „Gästebuch“ mit.