Nach
dem Kriegsende 1945, stand Deutschland vor einem Trümmerhaufen. Vor
allem fehlte es auch an Wohnraum um die vielen Flüchtlinge aus
Ostpreußen, Westpreußen, Pommern und Schlesien aufzunehmen, die nun in
Westdeutschland versuchten, zu überleben. Es wurden noch keine Gedanken
an eine neue Zukunft vertan, es ging zunächst buchstäblich von einem zum
anderen Tag um das nackte Überleben. Da in ganz Deutschland kein
Wohnraum zur Verfügung stand, suchten die Flüchtenden auch Hilfe,
Arbeit und Unterkunft in kleineren Orten und auf dem Lande. Große
Zentren gab es nicht mehr, Deutschland war ein Trümmermeer. Auch die
einheimische Bevölkerung war zum Teil ohne Dach über dem Kopf, oder eng
bei Verwandten untergeschlüpft. Nun wurden vor allem alte
Wehrmachtsgebäude in Wohnraum umgewandelt, um den Flüchtlingen überhaupt
ein Dach über dem Kopf geben zu können. In Heessen wurde dabei auf die
Gebäude der Kaserne, die in der heutigen „Neuen Heimat „stand, und den
Schießstand der ehemaligen Wehrmacht und seine Funktionsgebäude
zurückgegriffen. Der Schießstand am Leerfeldweg in Heessen hatte in
seinem Eingangsbereich eine Wohnung für den Platzwart und mehrere
Lagergebäude für Material. Diese Gebäude wurde bereits Ende 1945
umgewandelt, um kleine Wohneinheit, allerdings nur Notwohneinheiten zu
schaffen. Hier wurden die Gebäude einfach von den Wohnungssuchenden
besetzt und in Eigenhilfe zu Wohnraum umgebaut, soweit Baumaterial zu
beschaffen war. Wie dies geschah, blieb jedem selbst überlassen. Es
konnte z.B. auch eine sehr große Hilfe sein, wenn man den Ziegelmeister
der Ziegelei Beumer gut kannte. Nach dem Einzug erst, wurde die
Gemeinde unterrichtet, dass wieder eine Familie untergekommen war. Dort
war man froh, nicht selbst tätig werden zu müssen und hat sich nur die
Quadratmeterzahl des Wohnraumes angeben lassen. Jedem Bewohner standen 8
Quadratmeter zu. Wie hoch die Wohnungsnot war, mag man daran sehen, dass
selbst der Fischgroßhändler für gesamt Hamm und Umgebung, Herr Hellweg,
der noch Vorräte in den alten Eiskellern der Brauerei Isenbeck hatte, in
einem Keller am Stadtbad wohnte. |
Hinter dem
Kugelfang der langen Schießbahnen, waren kleine Unterkünfte für das
ehemalige Wehrmachtspersonal und das Wachpersonal des Schießstandes
vorhanden. Diese Wohnungen wurden nun notmäßig hergerichtet und
vermietet. Auch dies geschah so, dass Wohnungssuchende die Unterkünfte
besetzten und selbst herrichteten. Die Gemeinde akzeptierte diese
„Besetzung“ und legalisierte sie dann. 1946 waren in diesem unteren
Bereich des Schießstandes drei „Straßen“ vorhanden, an denen sich 12
Notwohnungen befanden. Diese sog. „Straßen“ bestanden aus festgefahrener
Erde und waren sehr schmal angelegt. Die Bäume an den Straßen sollten
mit ihren überragenden Kronenbereichen die Wege nach oben tarnen. Ein
13tes Haus wurde 1946 errichtet. Dies Haus wurde von Karl Klemme auf
einem alten Bunker errichtet. Dazu erhielt er am 16. April 1946 vom
Finanzamt Beckum die Erlaubnis „ zum Umbau eines Munitionsbunkers in
eine Wohnung“. Die Genehmigung, der Bauplan und Bilder des Hauses
liegen mir noch vor. Auch die Errichtung dieses Hauses erfolgte erst in
Selbsthilfe und wurde dann der Gemeinde gemeldet und nachträglich wurde
die Genehmigung durch das Finanzamt erteilt. Die Baupläne wurden
ebenfalls erst später, nämlich zum Auszug dort erstellt. Sie wurden für
das Entschädigungsverfahren gebraucht. Die Entschädigung wurde für den
Verlust des erstellten Gebäudes gezahlt. Das Finanzamt Beckum war
zunächst für die alten Wehrmachtsliegenschaften zuständig und wusste zum
Teil nicht einmal, was ihnen da unterstand. Ein Bewohner von damals
schilderte es so: „ Es war nur in Wild-West-Manier möglich zu
überleben.“
Da es für die Bewohner des Schießstandes
sehr schwer war, Lebensmittel einzukaufen, der nächste Laden befand sich
am Anfang des Frielicker Weges, war Karl Klemme so weitsichtig und baute
einen kleinen Lebensmittelladen in bzw. an das neue Haus an. (siehe
Anlage).
Am 6.9.1946 erhielt diese
„Not-Wohnanlage“ auf Antrag der KPD im Rat der Gemeinde Heessen, den
Namen „Karl-Liebknecht-Siedlung“. Die Wohnungen und Unterkünfte wurden
von der Nummer 1 bis zur Nummer 26 durchnummeriert. Zwischenzeitlich
wurde wenigstens eine Wasserleitung gelegt, was mit Hilfe von alten
Eisenrohren der Zeche Sachsen geschah. Strom war vorhanden, so waren
alle Bunker ans Stromnetz angeschlossen. Aber auch hier kam es natürlich
zu Notständen. Die Elektroversorgung war natürlich noch völlig
überfordert und so stand jedem Bewohner pro Monat 4 KW Strom zu. Zähler
wurden in den Bunkern installiert, die natürlich sofort umgangen wurden
und Strom wurde illegal abgezapft.
In den Jahren 1949 bis 1952 nahm die
Belegung des Schießstandes noch zu. Nachdem 1949 die Bundesrepublik
gegründet worden war, zog die „DDR“ nach und gründete ihrerseits eine
neue Republik. Damit kam nun die neue „Zonengrenze“ ins Spiel und viele
Bewohner der russisch besetzten Zone flüchteten nun weiter in Richtung
Westen. Auch diese mussten nun untergebracht werden und in Heessen wurde
eine neue, lange Baracken in der Karl-Liebknecht-Siedlung aufgestellt.
Das geschah an der Straße rechts neben den langen Gewehrständen. Dort
wurde auf der rechte Seite ein lange Baracke aufgestellt, die von der
Bundesregierung bezahlt wurde. Eine leichte Entspannung trat dann erst
Mitte der 50er Jahre ein, als die „Neue Heimat“ an der Ahlener Straße
eine neue Siedlung baute. Hier wurden allerdings erst die Bewohner der
Notunterkünfte aus den alten Pferdeställen der Kaserne untergebracht, an
deren Stelle später die neue Schule gebaut wurde. Dazu musste die
Kaserne abgerissen werden. Bis 1956 gab es keine Änderung in der
Karl-Liebknecht-Siedlung. Erst am 25.Juli 1956 erhielt dann Karl Klemme
von der Bundesvermögensstelle in Hamm, die damals noch in Hamm, in der
Adolfstr. 1 ihren Sitz hatte(heute Josef-Wiefels-Str.), die Kündigung
seiner Wohnung. Am 27.9.1957 zog Karl Klemme mit seiner Familie zur
Sandstr. 24, wo er ein neues Haus gebaut hatte. Aber auch an seinem
neuen Wohnort wurde Karl Klemme immer an den Weltkrieg erinnert. Für den
Neubau an der Sandstraße musste zunächst ein Splittergraben entfernt
werden, der während des Krieges den Anwohnern der Sandstraße , als
Bombenschutz gedient hatte. Trotzdem wurde die Siedlung weiterhin
dringend gebraucht und nicht sofort von der Bundeswehr übernommen. Noch
am 2.6.1960, zog die mir gut bekannte Familie Lindemann, von der
Karl-Liebknecht-Siedlung Nr. 17, zum Drosselweg 10, in ihr neu
erbautes Haus. Bis 1959 war ich fast
täglich in der Karl-Liebknecht-Siedlung und kannte dort viele Familien.
In den Häusern hinter dem Kugelfang wohnten damals die Familien.:
Erste Straße hinter dem Kugelfang: Flock,
Markert, Lindemann, Königsmann und Brieger.
Zweite Straße: Mende, Dahlmann, Rux,
Koschwitz.
Dritte Straße: Klemme, Markert, Bauer
Peters, im vierten Gebäude hatte Peters einen Stall für sein Vieh.
Hinten im Wald wohnte noch die Familie
Felgenhauer.
In der langen Baracke an den
Gewehrständen (erbaut so um 1952) wohnten die Familien Röhrig, Polster
und Bahr. Vorne im Eingangsbereich wohnte die Familie Knoblauch, Flock
und Wagner. Teilweise zogen die Familien auch um, wenn eine aufgegebene
Wohnung für sie besser geeignet war, als die von ihnen bewohnte.
Andere Familien sind mir namentlich nicht
mehr geläufig. Die aufgeführten Namen wurden von mir phonetisch
wiedergegeben. Hinter den Unterkünften befand sich dann am Waldrand ein
Bach, die Birke.
Der gesamte Bereich der
Karl-Liebknecht-Siedlung war von einem Drahtzaun umgeben, der an
Betonposten befestigt war und oben mit einer abgeknickten
Stacheldrahtkrone gesichert wurde. Man konnte lediglich vorne am
Eingang und hinten an zwei Nebeneingängen einmal zur Unterführung unter
der Bahn zur Ahlener Str.( heute zugeschüttet) und an der anderen Seite
in das Waldgebiet gelangen, von wo man nach Frielick gehen konnte. Von
alten Hessenern, die auf dem Leerfeldweg wohnten, wurden mir
Geschichten erzählt, dass während des dritten Reiches, auch noch in den
letzten Kriegstagen, dort verurteilte Wehrmachtsangehörige hingerichtet
worden waren. Die Erschießungen haben auf den Pistolenständen
stattgefunden. Zum Wahrheitsgehalt dieser Geschichten kann ich
allerdings keine Angaben machen. In den 70er Jahren war ich allerdings
häufig zum Schießtraining mit der Hammer Polizei auf diesen Ständen und
habe immer mit ein wenig Schaudern daran gedacht.
Nachwort:
Sollten Sie, lieber Leser, noch Erinnerungen an die
Karl-Liebknecht-Siedlung haben, oder sogar noch Bilder von dort in der
Schublade haben. Melden Sie sich bitte bei mir unter: Siegfried Paul,
Weidekampstr. 21, 59063 Hamm, Tel. 25083. Bilder erhalten Sie
selbstverständlich zurück.
Herzlichen Dank |