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Das Kriegsende in Hamm, 1945.
Folge 07 |
von
Polizeihauptkommissar a.D. Siegfried Paul |
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Gespräch mit dem Stadtamtmann Heiermann am
23.4.1986 in seiner Wohnung in Hamm, Brandströmstraße 30.
(Tonbandprotokoll) |
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Nach einer
Veröffentlichung über meine polizeihistorische Sammlung, rief
Stadtamtmann Heiermann mich auf der Polizeidienststelle an. Er bot mir
ein Interview über seine Erlebnisse der letzten Kriegstage in Hamm an,
die er als Angestellter des Wirtschaftsamtes in Hamm gehabt hat.
Natürlich suchte ich Herrn Heiermann sofort auf. Das Gespräch mit ihm
habe ich auf seinen eigenen Wunsch hin mitgeschnitten. Das Tonband
befindet sich in meiner Sammlung. Hier nun die wörtliche Abschrift des
Tonbandprotokolls.: |
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„Unmittelbar vor Kriegsende. Wir waren in
der letzten Phase des Krieges. Es war nur noch ein Verteidigen Mann
gegen Mann. Es war kaum noch möglich über die Straßen zu kommen oder
durch die Straßen zu gehen. Die Stadt war zerstört. In einigen Ecken
wurde noch Widerstand geleistet von unseren Soldaten, meistens waren es
ganz junge Menschen. Da waren die Amerikaner schon in den Bahnhof
eingedrungen, nach mehrfachen Rückzügen. Sie sind mehrfach
zurückgedrängt worden beim Besetzen des Bahnhofes und zwar haben sich da
unsere Soldaten die noch da waren, äußerst tapfer, man kann schon sagen
„selbstmörderisch“, verhalten. Sie haben gegen diese Übermacht
angekämpft, es war schon erstaunlich. Die Amerikaner wollten aber keine
Verluste hinnehmen und sind dann immer wieder zurückgewichen und haben
erst mal dicke Sachen herangeführt, schwere Geschütze, Panzer und so
weiter. Nun war ja die eine Brücke am Hafen heil geblieben
(Anmerkung des Verfassers: Gemeint ist die Eisenbahnbrücke am
Hafen.),
die war nicht zerstört worden. Ein deutscher
Panzer soll darunter gefahren worden sein mit dem Auftrag, den Panzer
mit der Brücke zu sprengen. Darüber habe ich aber keine authentischen
Mitteilungen. Jedenfalls ist die Brücke heil geblieben und über diese
Brücke sind die ersten Panzer in den Bahnhof eingedrungen und haben auch
ihre Soldaten abgesetzt. Die sind dann vom oberen Teil nach unten in die
Bahnhofshalle und von dort in die Stadt gekommen. Das war der Einzug
dieser Leute in die Stadt Hamm.“ |
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Frage des Verfassers.: „ Wie war die Stoßrichtung
der Amerikaner sind die erst in Richtung Rathaus und Polizei
vorgegangen und später erst in Richtung Westen oder wurden beide
Stoßrichtungen sofort verfolgt.? |
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Heiermann: „ Ihre Zweifel sind berechtigt. Es war
aber schwierig, Einzelheiten zu erfahren. Es war ja kaum noch jemand der
Zivilbevölkerung in der Stadt. Die einzigen die noch vorhanden waren
saßen in den Bunkern selbst, die noch unser Bürgermeister Deter mit dem
Stadtbaurat Haarmann hatte bauen lassen, zum Schutz unserer Bevölkerung.
Ich betone das immer wieder, um die großen Vorzüge
hervorzuheben, die unserer früherer Oberbürgermeister Deter trotz seiner
nationalsozialistischen Zugehörigkeit für die Bevölkerung geleistet hat.
Das kommt auch immer wieder zum Vorschein, ich habe
mit ihm bis zuletzt zusammengearbeitet. Fast bis zu seinem
Tode bin ich mit ihm zusammen gewesen. Er hat immer zum Wohle der
Bevölkerung gearbeitet und ich kann deshalb auch nur Gutes über ihn
sagen. Er war schon fast im Jenseits, als er noch in seinem letzten
Etablissement auf der Ostenallee, gegenüber vom Kurhaus, das Haus steht
heute nicht mehr, da hatte er sein Büro, da hat er noch seine
Dienstpflichten erfüllt. |
( Anmerkung des Verfassers: In dem Haus war später, nach dem
2. Weltkrieg, vom 1.2.1961 bis zum 30.6.1971, die Polizeiwache Hamm-
Osten untergebracht. Heute befindet sich hier die Einfahrt zur
Senioren-Residenz., siehe auch Bildseiten.) |
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Und wenn man dann mit ihm sprach, da war er schon
fast abwesend, schon fast im Jenseits, weil er genau wusste, dass es mit
ihm zu Ende ging. Er war davon fest überzeugt und ließ sich auch nicht
überreden. Wir haben ihm oft gesagt, dass er keine Sorgen haben müsse,
denn er hätte für die Bevölkerung viel getan, er wäre nicht nur
Nationalsozialist gewesen. Ich möchte das immer wieder betonen, der Mann
hat wirklich ungeheuer viel getan. Wer selbst viel mit ihm gelebt hat,
ich habe seine Aufträge entgegengenommen, die nur darauf gerichtet
waren, der Bevölkerung zu helfen. Dazu habe ich schon einen
ausführlichen Bericht geschrieben, wie er mich beauftragt hat, den
Widumbunker zu versorgen, der in dem Augenblick für rund 6000 Menschen,
Männern, Frauen, Kinder, alles mögliche aufgenommen hatte, die tage- und
nächtelang nicht aus dem Bunker heraus konnten. |
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Die Wasserleitungen waren zerstört, die
Beleuchtung war zerstört, es war kein Strom da, die Belüftung war
kaputt. Was die Leute da ausgestanden haben, das ist unsagbar, aber sie
sind nicht getötet worden, weder durch feindliche Bomben noch durch
feindliche Angriffe. Das war das Glück dabei. Und diese Leute zu
versorgen, das lag ihm ganz besonders am Herzen. Er hat mich gebeten,
weil ich wohl der einzige Mann war, der in der Nähe war, der noch für
diese zu haben war, den Bunker und seine Insassen wenn es ginge, zu
versorgen“ |
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Frage des Verfassers: „
Bei den Kämpfen sollen noch Hitlerjungen am Bahnhof gefallen
sein. Haben Sie darüber irgendwelche Erkenntnisse ?.“ |
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Heiermann: „ Inwieweit das noch den Tatsachen
entspricht kann ich nicht sagen. Es war ganz schwierig in der Kampfphase
um Hamm da noch wahrheitsgetreue Wiedergaben herzustellen. Man hätte
Augenzeugen an mehreren Stellen haben müssen, dann hätte man das
aktenkundig machen können. Ich habe nur erlebt, wie die Amerikaner über
die Nordenbrücke in Hamm eingedrungen sind und mehrfach zurückgeschlagen
wurden durch das kleine Häuflein deutscher Soldaten. |
(Anmerkung des Verfassers: Gemeint ist die
Eisenbahnbrücke.) |
Hier am Kanal entlang ( Herr Heiermann zeigte
aus dem Fenster seiner Wohnung, die in Höhe Rietzgarten liegt ),
waren bis zur Fährstraßenbrücke Mannlöcher von 1,20 m Tiefe etwa.
Eingegraben saß da unser Landsturm, das waren auch nur noch ganz wenige
Leute, die waren so 50 Meter verteilt diese Löcher. So habe ich das noch
in Erinnerung. Und in diesen Löchern da saßen nun diese armen Kerle und
sollten da gegenüber den Feind abwehren, der eventuell von der anderen
Seite vom Lippedeich her Hamm beschießen wollte. Der Kanal war in der
Zwischenzeit auch schon leer. Das Wasser war durch Bomben bzw. die
Schleusen waren durch Bomben getroffen. Das Wasser des obigen Teils des
Kanals, bis nach Werries, war runter geflossen zum Dortmund – Ems –
Kanal und da gab es natürlich riesige Überschwemmungen. Denn das Wasser,
die riesigen Massen, die hier oben das Bett gefüllt hatten, das musste
ja irgendwo bleiben. Das floß dann unten ab und hier war das Bett völlig
leer. Da war es natürlich gut möglich, das die Amerikaner, da sie die
Straßen nicht benutzen konnten, dass sie durch den Kanal kamen. Das habe
ich selbst gesehen. Die Leute lagen da in den Löchern und gegenüber auf
dem Exerzierplatz da lag eine, nein da lagen zwei Flakbatterien mit je 4
Geschützen. Bei jedem Angriff schossen die mit allem was das Zeug hielt,
den Amerikanern entgegen. Da sind auch zwei Flugzeuge abgeschossen
worden. Nur die Treffsicherheit war damals nicht so wie heute, mit den
Raketen. Die Treffersicherheit war ja gering. Auch des Nachts, da warfen
die Amerikaner ja große Fackeln, dadurch wurden die Ziele ja zunächst
mal anvisiert für die nachfolgenden Flugzeuge. Ein oder zwei Aufklärer
flogen voraus und setzten diese „Christbäume“ über die Ziele und die
beleuchteten dann in etwa die Ziele und die nachfolgenden Flugzeuge
hatten dann die Möglichkeit, in diesem Bereich ihre Bomben abzuladen.
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Einen Bombenangriff habe ich erlebt. Ich sprach
gerade von der Flakbatterie am Exerzierplatz. Ich ging damals nicht in
den Bunker, weil ich mich im Bunker nicht wohl fühlte, außerdem hatte
ich draußen dann auch die Möglichkeit zu beobachten, wo was geschah und
ich war dann immer gleich zur Stelle. An diesem Morgen bin ich dann von
der Stadt aus mit meinem Fahrrad hier heraus gefahren, über die
Brandströmstraße, ich wohnte damals schon hier. Bin hier vorbei um zu
sehen, ob alles in Ordnung ist. Bin zur Fährstraße gefahren. Dann
überraschten mich aber schon die feindlichen Bomber. Sie kamen in großen
Pulks hier über den Exerzierplatz geflogen, in Richtung Soest. Soest und
Paderborn waren damals die Angriffsziele. Die wechselten ständig die
Ziele und bombardierten alle Städte planmäßig, jede Stadt. So war es an
diesem Morgen auch. Sie kamen in großen Pulks im Norden über die Lippe
und Kanal geflogen und ich hatte gerade noch Gelegenheit, dass ich
hinterm Düker, in ostwärtiger Richtung, hinter dem ersten Kastanienbaum,
wenn sie heute dahin kommen können Sie es noch sehen, eine Lücke ist da
entstanden. Ich habe mich direkt unter den Kastanienbaum, der war damals
höchstens 20 cm stark und natürlich nicht so groß wie heute, heute ist
er ja riesengroß. Das ist ja auch 40 Jahre her. Ich habe mich also unter
diesen Kastanienbaum geworfen. Das Fahrrad ebenfalls hin und schon
fielen auch die Bomben. Zunächst mal unzählige Brandbomben, die fielen
überall hin. Diese kleinen Stabbrandbomben. Und dann fielen die
Sprengbomben. Eine in meine unmittelbare Nähe. Keine vier Metern von mir
entfernt. Ich musste mich ganz tief an die Erde pressen, damit ich die
Splitter nicht mitbekam. Die Bombe explodierte und warf dann natürlich
einen riesigen Berg von Erde auf, der über mir zusammenbrach und ich
hatte nur einen kleinen Schutz durch den Kastanienbaum. Die Äste haben
mich beschützt vor den herab fallenden Erdmassen. Das waren dicke
Klumpen von Lehm, teilweise Erdaushub vom Kanalbau. Als nun der Angriff
und der Bomberpulk vorbei waren, hörte ich jemanden schreien,
unmittelbar an der Reitbahn, an der Nord-Ostecke der Reitbahn. Da stehen
heute noch große Birken. Damals waren das noch kleine Bäume mit etwa 10
cm Durchmesser. Da war ein altes Ehepaar. Die alte Frau hockte auf der
Erde neben ihrem Mann und der blutete aus Mund und Nase. Sie schrie nun
fürchterlich um Hilfe und wusste sich nicht zu helfen. Ich stand dann
auch hilflos dabei, ich konnte dem Mann auch nicht helfen. Ich musste
auch wieder in die Stadt mit meinem Rad. Das war bei dem Angriff
beschädigt worden und ich musste es später auf dem Rücken zur Stadt
tragen. Dann kam aber glücklicherweise ein Mann aus der Umgebung. Wo der
her kam weiß ich auch nicht. Er war mir völlig unbekannt. Den Mann habe
ich gebeten, er möge sich um den Verletzten kümmern und möge ihm Hilfe
leisten. Es war alles so schwierig und so unglaublich schwer. Wenn man
das alles heute noch einmal erleben müsste, wäre das wohl eine andere
Sache. Na gut. Ich bin dann zu meinem Fahrrad zurückgelaufen. Das lag
noch unter dem Kastanienbaum. Ein Klumpen Erde hatte das Hinterrad
zerschlagen. Ich nahm es also auf die Schulter. Da komme ich am
Exerzierplatz vorbei, da höre ich das Schreien und Jammern von Soldaten.
Die beiden Flakbatterien hatten geschossen bis zum Gehtnichtmehr und
sind dann mit Bomben beworfen worden. Als ich vorbei kam, ich konnte
mich auch nicht viel kümmern, ich hörte nur das Schreien und Rufen und
wusste, dass da schreckliches passiert war. Aber, man konnte sich ja
auch nicht um Alles kümmern und ich musste ja auch wieder zurück zur
Dienststelle. In dem Augenblick hatte uns die Bevölkerung ja nötiger als
die Soldaten. |
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Das war nur eine Episode, deren ich hunderte
erlebt habe während des Krieges. Ich war als Schwerbeschädigter bei der
Stadtverwaltung. |
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Ich kann mich auch an eine andere Sache gut
erinnern. Es gibt noch Bilder aus der Innenstadt, als nach einem
Bombenangriff in Höhe der Kaufhalle eine Straßenbahn umgestürzt war. Der
Angriff war aber schon 1944. Da ist auf den Bildern noch eine Lücke in
der aufgeworfenen Erde zu sehen. Daran kann ich mich gut erinnern. Dort
musste ich mit meinem Lieferwagen durch, wenn ich zu dem Bunker am
Westentor musste. Ich hatte so einen kleinen Lieferwagen mit einer
Ladefläche von etwa 2 qm. Auf dieser Ladefläche habe ich dann von der
Kaserne im Osten aus, flüssige Nahrung zu dem Bunker gebracht, während
die Amerikaner noch in dem Gebäude gegenüber lagen. Das war 45 kurz vor
Kriegsende. Den genauen Tag kann ich aber nicht mehr sagen. Auch bei
„Rosenberger“ |
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(Anmerkung des Verfassers: Bekleidungsgeschäft Ecke
Weststraße- Markt. Heute „Lindemann“,) |
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hatte ein amerikanischer Major seinen
Gefechtsstand errichtet. Gegenüber, wo heute etwa der Hörgeräteladen
ist, da war ein Trümmerberg. Dahinter hatte ein MG-Posten der Amerikaner
Stellung bezogen mit Schussrichtung Oststraße. Ich selbst bin mit meinem
kleinen Lieferwagen, von dem ich eben sprach, vom Osten her kommend, bei
Solle auf die Oststraße gefahren. |
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(Anmerkung des Verfassers.: Solle war eine
Tankstelle in der Einmündung Heßlerstraße – Ostenallee. Sie stand dort,
wo heute die westliche Fahrbahn der Heßlerstr. in dem Kreuzungsbereich
verläuft.) |
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Ich kam von der Kaserne an der Lindenallee. |
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( Anmerkung des Verfassers: Heute heißt die
Lindenallee Josef-Schlichter-Allee. Die Kaserne war die
Infanterie-Kaserne, heute ist das die Paracelsus- Kaserne, die das
Sanitätsregiment beherbergt.). |
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Da kam ich in große Schwierigkeiten mit den
Trümmern und der Oberleitung der Straßenbahn, die auf der Erde lag. Ich
musste jetzt versuchen, da durchzukommen. Ich hatte auf der Ladefläche
große Behälter, etwa Waschkessel groß, die waren voll Suppe für die
Bunkerversorgung für Frauen und Kinder. Der eine Behälter war voll
Milchsuppe, natürlich aus Magermilch hergestellt, aber, es war
Milchsuppe mit Griesmehl, so dass die Kinder eine wertvolle Nahrung
fanden. Das war zu der Zeit, zu Ende des Krieges, ja ungeheuer wertvoll.
Dank meiner Kenntnisse als Soldat hatte ich fast sofort Zutritt in der
Kaserne. Ich konnte mich sofort durchfragen in die Küche hin und hatte
dann mit dem Küchenunteroffizier, der da die Leitung hatte, sehr guten
Kontakt. Und der sagte mir sofort: „ Aber selbstverständlich helfe ich
dir Kamerad, das wäre ja gelacht, denn was ich hier habe, das können wir
ja sowieso nicht mehr verwerten, denn die Front rückt weiter vor. Ich
kann hier sowieso nicht mehr viel machen, ich koche kaum noch. Ich koche
dir jetzt eine kräftige Knochenbrühe und eine Milchsuppe. |
Sie können sich vorstellen, was ich mich gefreut
habe. Na gesagt getan. Nach ungefähr einer Stunde bin ich dann wieder in
der Küche gewesen. Gott sei Dank war die Küche überhaupt noch
betriebsfähig, das war auch schon fast ein Wunder. Na aber immerhin, für
die Wehrmachtsküchen musste ja auch gesorgt werden. Die musste ja
versorgt werden. Diesem Umstand verdanke ich überhaupt, dass da noch
gekocht werden konnte. |
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Das was ich jetzt hier erzähle, dass ist noch
nirgendwo niedergelegt. Da weiß kein Mensch etwas von, ich habe nie
davon Gebrauch gemacht. Ich wollte mich auch nicht selbst loben, das ist
nicht Zweck der Sache. Im Gegenteil, ich möchte bescheiden bleiben wie
ich immer war. Ich möchte auch nicht groß in Erscheinung treten, etwa in
der Presse. Aber das sind Erlebnisse, die man der Nachwelt unbedingt
wiedergeben muss, damit weitergegeben wird, dass auch in solchen
Situationen Einzelpersonen viel bewirken können. Man muss sich nur
einsetzen und Mut beweisen. Es ging ja manchmal auch um Kopf und Kragen.
Da waren ja Gefechtsstände und auch der MG-Schütze hinter dem
Trümmerberg, der die ganze Oststr. bestreichen konnte, auf der ich ja
nun ankommen musste. Eine ganz couragierte Frau, der ich ein Riesen Lob
spenden muss, die vielleicht damals etwa 40 Jahre alt war, die fragte
mich in der Kaserne:“ Herr Heiermann, wo wollen sie hin ?“ Ja und ich
sagte was ich wollte. Sie fragte aber nur:“ Kann ich mit ?“. Ja liebe
Frau, was meinen sie wohl wo ich hinfahre, ich muss durch die Front. „
Ja, spielt gar keine Rolle, wenn sie da hinfahren, dann fahre ich auch
mit. Wenn sie also wollen, dann fahre ich mit.“ |
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Ja, sagte ich, Hilfe kann ich gerne gebrauchen.
Gerade couragierte Leute kann ich unbedingt gebrauchen. Sie müssen aber
damit rechnen, dass wir abgeschossen werden, ich rechne auf jeden Fall
damit. |
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„ Ja, ist ganz egal, wenn sie fahren, fahre ich auch mit.“ |
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Ich kann mich noch erinnern, das war eine
Frau Huxel. Die wohnte im Kasernenbereich. Ich habe sie später nie
wieder gesehen. Schade. |
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(Anmerkung des Verfassers: Nach meinen Recherchen
handelte es sich um die Frau Helene Huxel. Ihr Mann war Polizeibeamter
in Hamm, aber im auswärtigen Einsatz. Nach dem Kriege war er wieder
Polizeibeamter in Hamm. Er war Mitglied der Gewerkschaft der Polizei und
nach seinem Tode übernahm seine Frau die Mitgliedschaft. Frau Helene
Huxel wohnte später im Altenheim Liebfrauenkirche. Leider konnte ich sie
zu diesem Bericht nicht mehr befragen. ) |
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Na, wir sind losgefahren. Als wir bei Solle
ankamen, mein Lieferwagen hatte ja nur eine Kabine und darüber war so
ein Vordach. Ich sage also zu der Frau Huxel. Jetzt gibt es keine andere
Möglichkeit, sie müssen sich auf das Dach setzen. Ich gebe ihnen einen
weißen Lappen – der war mehr grau – und damit winken sie. Von links nach
rechts, immer hin und her, damit man sieht, dass wir nichts Böses
vorhaben. Sie sind aber einer großen Gefahr ausgesetzt. „Spielt keine
Rolle „ , sagte sie nur. Na, ich habe sie dann oben bugsiert und wir
beide sind dann losgefahren durch die mit Schutt und Trümmern beladene
Oststraße. Ich musste von einer Seite auf die andere fahren. Dabei hatte
ich immer noch große Sorge um den Inhalt meiner Pötte dahinten auf dem
Wagen, dass die nicht leer pladderten , sonst wäre ja die ganze Fahrt
umsonst gewesen. Na immerhin, jetzt kamen wir bis zur Pauluskirche, wo
heute die Apotheke Cobet steht, da lagen Tellerminen auf der Straße. Ich
konnte ja nur die Straße beurteilen, soweit ich sie sehen konnte. Da sah
ich auch den Trümmerhaufen so bei Pröpsting etwa und da sah ich Soldaten
stehen. Als ich dann mit meinem Wagen da angefahren kam, da sprangen
dann einige von denen aus der Deckung heraus auf meinen Wagen zu und
hielten mich an. Da stand ich nun mit meinem Wagen auf der Straße vor
den Tellerminen, so etwa 6 bis 8 Stück, wie ich heute meine. Die lagen
so im Anstand von etwa 50 Zentimetern. Man hatte damit die Straße
gesperrt gegen Panzer und andere anrückende Fahrzeuge. Und dann bin ich
ausgestiegen und habe die Soldaten heran gewinkt, auf die Gefahr hin, ob
sie wollten oder nicht, dass konnte ich ja nicht sagen. Und meine paar
Brocken Schulenglisch die ich noch sprach, die reichten nicht aus, um
mich mit denen klar und deutlich auszusprechen. Jedenfalls habe ich die
zu mir hergebeten und ihnen durch Zeichen zu verstehen gegeben, sie
sollten die Tellerminen da wegräumen, ich müsste da durch. Und da gaben
sie mit zu verstehen, dass das unmöglich wäre. Ich habe aber dann so
lange rumgehampelt und gezeigt, dass ich da durch muss, die gingen dann
tatsächlich daran und schoben die Minen mit ihren Schuhen beiseite. Das
war für mich eine unglaubliche Hilfe, ich hätte nie erwartet, dass die
Leute das täten. Nun waren die Tellerminen beseitigt. Jetzt hatte ich
nur noch den MG-Stand da. Die Schützen lagen noch hinter der Deckung und
ich bin bis davor gefahren. Da gab man mir zu verstehen, ich sollte
stehen bleiben, ich könnte mit dem Fahrzeug nicht weiter. Und dann hat
man mich zunächst in die Vorhalle da bei Rosenberger geführt. Ich sagte
ja eben schon, da waren Soldaten, amerikanische Soldaten und die hatten
da einen Kompaniegefechtsstand, da bei Rosenberger in der Vorhalle. Und
dann habe ich versucht da klarzumachen , dass ich die Leute in dem
Bunker versorgen müsste mit Lebensmitteln. Meine paar Brocken englisch
die reichten soeben dazu um das klarzumachen, und das ich keine böse
Absicht hatte. Na gut, die Unterhaltung die dauerte dann etwa 10
Minuten. Dann gab man mir freie Fahrt. Nur, mein kleiner Wagen wurde von
4 – 6 Amerikanern besetzt. Die hängten sich sich hinten und vorne
überall auf das kleine Fahrzeug. Die Frau Huxel hatte ich schon längst
wieder vom Dach geholt, die saß jetzt neben mir. So sind wir jetzt mit
dem schwer beladenen Wagen die Weststraße heruntergefahren bis etwa zu
der Persil-Uhr. |
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(Anmerkung des Verfassers: Die Weststraße hieß zu
dieser Zeit Hitler-Straße. Die Persiluhr stand damals an der Einmündung
zum Südring, am Westentor. Heute etwa in der östlichen Fahrbahn des
Südring.) |
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Ja, und dann kam das größte Drama. Ich sollte nun
die Lebensmittel die ich bei mir hatte am Bunker absetzen und dann
wollte man mein Fahrzeug haben. Ich sagte Nee, das ginge nicht, ich
müsste mit dem Fahrzeug noch mehrere Male dahinfahren. Die Bevölkerung
in den Bunkern, das wären fast 6000 Menschen, die hätten schon tagelang
nichts zu essen bekommen. Ich bin dann auch mit meinem Wagen und der
Frau Huxel bis zum Bunker gefahren. Da lagen große Erdhügel vor dem
Bunker, weshalb das war, kann ich heute nicht mehr sagen, jedenfalls auf
die Erdhügel bin ich geklettert und habe den aus den Bunkern
herausströmenden Massen, vor allen Dingen ausländischen Arbeitern,
jedenfalls waren eine Unmenge holländischer, belgischer und
französischer Soldaten, die in Zivil waren, die waren unten in dem
Bunker. Die hatten sich da breit gemacht. Da war ein größerer Raum für
alte Leute, für Behinderte und Kranke und so etwas. Und diese Ausländer
hatten den Raum zwangsweise geräumt. Die hatten die Leute rausgejagt und
raus getrieben und haben da nun Schutz gesucht gegen amerikanische
Bomben. Als die nun erfuhren, dass da jemand mit Lebensmitteln nach
draußen kam, da stürzte sich die gesamte Meute sofort nach draußen auf
mein Fahrzeug und auf mich und alle Leute und ich wusste im Augenblick
nicht was ich machen sollte. Dann bin ich auf einen Hügel geklettert und
habe das große Wort geführt. Ich habe mir gesagt, wenn man da nicht
frech und dreist ist, kommt man da nicht durch. Und ich habe mir
tatsächlich dadurch Respekt verschaffen können und habe denen gesagt,
die Holländer verstanden mich ja , dass das Lebensmittel wären für
Frauen und Kinder, die fast verhungert sind. Sie bekämen was, wenn sie
ruhig wären, nachdem die Leute jetzt versorgt wären. Das hat dann auch
Eindruck gemacht, jedenfalls habe ich die Frau Huxel gebeten, die Suppe
auszuteilen . Die Amerikaner zwangen mich mit dem Fahrzeug mit ihnen
mitzufahren, in die Ungewissheit. Ich wusste nicht was auf mich zukommt.
Ich sagte also zu Frau Huxel,: Sie wissen ja was los ist und für den
Fall dass ich nicht wiederkommen sollte, versuchen sie meiner Frau
Nachricht zu geben was mit mir geschehen ist. Ich muss den Amerikanern
folgen, sie zwingen mich mitzufahren. Ich will mal sehen wie ich daraus
komme, ich weiß es noch nicht. Na gut, die Frau Huxel musste ich jetzt
auch ihrem Schicksal überlassen. Und sie hat sich dann auch ganz brav
und tapfer da durchgeschlagen und hat versucht, die Lebensmittel so gut
zu verteilen, wie eben möglich. |
Ja und auch ich war nun meinem Schicksal
überlassen. Die Soldaten kletterten wieder auf meinen kleinen Wagen und
ich wurde mit Zeichen geführt, zum Bahnhof hin. Das ging dann zum
Bahnhofsportal hin. Zuvor aber noch eine kleine Episode vorweg. |
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Bevor ich mit dem Wagen da halten konnte, musste
ich erstmal einen alten Mann, der totgeschossen worden war und der nun
auf der Straße lag, den musste ich erstmal an die Seite schleppen. Der
hatte noch einen Schirm bei sich und war wahrscheinlich auf Reisen
gewesen und der Krieg hatte ihn hier überrascht. Nun lag er getötet auf
der Straße. Indessen waren die Amerikaner von meinem Wagen gesprungen
und in den Bahnhof gegangen. Ein Amerikaner stand am Bahnhofseingang als
Posten, den habe ich zu mir herangewinkt. Er sollte mir helfen den alten
Mann da wegzutragen. Der machte aber eine Bewegung und Bemerkung, als ob
er es mit einem Verrückten zu tun hätte. Und dann habe ich in meiner Wut
auf Hochdeutsch gesagt.: „Leck mich am Arsch.“ Ob er mich verstanden
hat, bezweifle ich aber stark. Hier ging es doch nur darum, dieses arme
Wesen von der Straße zu bekommen, damit es nicht noch von Panzern oder
anderen Fahrzeugen zerquetscht wurde. |
Ich habe den Mann aber dann
allein von der Straße gezogen, bis unter den Briefkasten am Bahnhof, ich
glaube der Kasten ist sogar heute noch dort. Deswegen kann ich mich
noch so genau an diese Stelle erinnern. Aber das war nur eine kleine
Episode davor. |
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Nun stand ich also mit meinem Wagen da vor dem
Bahnhof und wusste nicht was ich machen sollte. Die Soldaten waren weg.
Sie hatten mir keine Weisung gegeben und auch keine Zeichen, mir war nur
gesagt worden, ich solle da stehen bleiben. Nun konnte ich aber nicht
dauernd da stehen bleiben, es wurde ja noch geschossen, das war ja keine
Spielerei, und frech wie ich war, bin ich einfach an dem Posten vorbei
in den Bahnhof gegangen. Die Soldaten waren ja auch da rein gegangen. Ja
und dann bin ich erst durch die Halle zu dem Bahnsteigtunnel gegangen,
bis zu dem ersten Aufgang zu den Bahnsteigen. Da bin ich hochgegangen
und habe vorsichtig rausgeschaut. Da sah ich zwischen den Geleisen so
ca. 8 von unseren Soldaten liegen und hocken, das waren Gefangene. Na da
habe ich mich zu denen vorgearbeitet, soweit ich unter Schutz dort hin
konnte, denn es wurde tatsächlich noch vereinzelt geschossen. Es war
nicht ganz einfach und ich wollte mein Leben ja nun nicht noch unnütz
aufs Spiel setzen. Dann habe ich mich jedenfalls zu den Soldaten
hinbegeben, kriechend, habe mich zu ihnen in die Bahngleise gehockt und
habe sie gefragt, was los wäre. Da sagte der eine, er hätte einen
Unterschenkelschuß und die anderen , die waren nicht verletzt. Die waren
aber gefangen genommen worden, die Amerikaner hatten sie kassiert und
nun lagen sie da, nicht einmal bewacht. Aber was sollten sie machen.
Unbewaffnet in Uniform, heile wären sie nicht raus gekommen. Und sie
sollten da bleiben. Und dann habe ich einen amerikanischen Soldaten
heran gebeten und habe dem gesagt, bzw. mehr zu verstehen gegeben, dass
ich den verletzten Soldaten mit zum Lazarett nehmen wollte. Der hat mich
ganz erstaunt angesehen, das wäre ganz ausgeschlossen und das gäbe es
überhaupt nicht. Na ich wollte noch verhandeln, habe gesagt, dass der
doch versorgt werden muss. Ja, aber das spielte keine Rolle, die
Amerikaner wollten ihn in ihr eigenes Lazarett bringen. Da war nichts zu
machen. Ja und dann bin ich wieder runter in den Bahnhofsgang und habe
da gewartet, da habe ich aber nichts mehr gesehen oder gehört. Da bin
ich dann raus zu meinem Wagen gegangen. Ich wurde auch nicht daran
gehindert und da bin ich mit meinem Wagen in die kleine Straße neben dem
Bahnhof gefahren, in Richtung Hafenstraße, da wo heute der Neubau der
Post steht. |
( Anmerkung des Verfassers: Heute die Zufahrt zum
Hof des technischen Rathauses der Stadt Hamm.). |
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Da gab es eine Rampe, da konnte man auf den
Bahnkörper hochfahren. Da bin ich rauf gefahren um zu sehen, ob ich da
oben weg konnte und was da eigentlich los war. Ich wusste ja auch nicht
was mit mir geschehen sollte und da musste ich nun irgend einen Ausweg
suchen um aus dem Dilemma wieder raus zukommen. Durch die Stadt war mir
eigentlich zu gefährlich wieder zurück zu fahren. Ich war dann die Rampe
raus gefahren, konnte aber nicht wenden und nicht weiter und musste
rückwärts wieder zurück fahren. Dann bin ich wieder vor den Bahnhof
gefahren, nochmals ausgestiegen und wieder in den Bahnhof gegangen. Da
kamen mir die Soldaten, die sechs Mann die mich hergebracht hatten, in
dem Tunnel zu den Bahngleisen wieder entgegen und trugen schwere
Munitionskisten. Und dann bugsierten sie mich raus aus dem Bahnhof, Go
on, Go on, sagten sie dauernd und dann zum Wagen hin. Dort haben sie das
Zeug aufgeladen und haben sich selbst wieder wie die Kletten an den
Wagen gehängt und dann musste ich mit dem Wagen wieder zur
Ausgangsstelle, nach Rosenberger zum Kompaniegefechtsstand hin, musste
dort abladen lassen und dann erst konnte ich zu dem Bunker zurück
fahren. Aber wieder auf dem schwierigen Wege, immer wieder anhalten und
immer wieder kontrolliert, weil ich da ja jetzt allein war. Da komme
ich jetzt zum Bunker hin, da sah ich die Bescherung. Da standen die
Ausländer, die hatten die Lebensmittel total geplündert. Sogar mit den
Füßen stand einer in so einer großen Schüssel, es war bejammernswert. Na
immerhin, ich habe mich nicht weiter daran gestört, habe die Frau Huxel
wieder eingeladen und bin mit ihr zurückgefahren. Wieder bis
Rosenberger. Wieder angehalten, wieder mal die Kontrollen, wieder mal
zum Kompaniegefechtsstand. Und dann wieder durch die
Tellerminensperre, die inzwischen ja wieder geschlossen war und dann
zurück zur Kaserne. Wieder voll geladen, den gleichen Weg wieder zurück,
die gleiche Tortour, das gleiche Affentheater wie vorher. Immer wieder
die großen Schwierigkeiten, aber, ich habe nicht nachgelassen, nicht
locker gelassen, ich bin hingekommen wohin ich wollte. Das war meine
Aufgabe und ich konnte die Leute versorgen. Also meine Aufgabe war
erfüllt und das konnte ich auch hinterher dem Oberbürgermeister Deter
berichten und was ich erlebt hatte. Die Vorgeschichte zu der
Bunkerversorgung, die hält genau so lange auf, wenn ich sie erzähle, wie
das, was ich jetzt von der eigentlichen Versorgung erzähle. Denn ich
musste ja erstmal dazu das Feld sondieren. Dazu auch folgender Hinweis. |
An der Bank, an dem Bankgebäude |
(Anmerkung des Verfassers: Gemeint ist das Gebäude der
Commerzbank Südring Ecke Goethe Str.), |
den Weg zum Bunker, den Weg hatte ich zu Fuß nehmen müssen. |
(Anmerkung des Verfassers: Heute verläuft hier die
Fahrbahn des Südring, damals ein ca. 1,50 m breiten Weg mit
Baumbestand.) |
Mein Fahrrad hatte ich da oben bei dem
Zuggefechtsstand von einem deutschen Offizier liegen lassen und war dann
zu Fuß bis zu dem Bunker, von Baum zu Baum schutzsuchend gegen den
Beschuss aus dem Kaufhallengebäude, aus der ersten Etage, die von
Amerikanern besetzt war. |
(Anmerkung des Verfassers: Der Deutsche Zuggefechtsstand befand
sich in der Commerzbank.) |
Und dann bin ich glücklich unverletzt, unversehrt
am Bunker angekommen. Man wollte mich zunächst nicht in den Bunker
reinlassen. Man hatte ja in jedem Bunker einen Bunkerwart. Dieser
Bunkerwart vom Westentor war aber erkrankt und lag auf der ersten Etage,
das habe ich aber erst hinterher erfahren und sein Stellvertreter wollte
mich absolut nicht in den Bunker herein lassen. Da wäre eine so
schlechte Stimmung im Bunker, eine so schlechte Luft, er könne niemand
mehr in den Bunker lassen, das wäre vollkommen ausgeschlossen. Da sagte
ich ihm aber, dass ich von der Stadt sei, ich wollte die
Bunkerbevölkerung versorgen, Frauen und Kinder, und da ließ er mich dann
ein. Da habe ich mich dann mit dem Bunkerwart in der ersten Etage
unterhalten. Aber unten, da sah ich schon das Dilemma, da hatten die
Ausländer den Raum gewaltsam ausgeräumt und hatten sich da breit
gemacht. Da habe ich aber, glaube ich, schon von gesprochen. Das war
die Episode, bevor ich die Versorgung überhaupt einleiten konnte. Ich
musste ja wissen, was in dem Bunker überhaupt los war, ob ich hinkam
oder ob ich nicht hinkam. Die Lage war ja völlig unmöglich. Wenn sie
alte Bilder von damals betrachten, dann weiß man wie die Stadt zerstört
war. Da war noch nicht aufgeräumt, wie teilweise auf den Bildern, die
heute meistens vom Kriegsende veröffentlicht werden. Als ich da fuhr, da
war noch nichts geräumt und es wurde noch gekämpft. |
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Na, jetzt habe ich in dem Bunker mal nachgesehen,
ich hatte meine Taschenlampe mit, das war alles. Ich habe mich ein
bisschen da durchgefragt und kam dann auch zu dem Bunkerwart. Der
konnte niemand mehr helfen aber ich war schon glücklich, einen
Ansprechpartner gefunden zu haben. Dann habe ich dem mitgeteilt was ich
vorhatte und bin dann wieder raus. Auf dem gleichen Wege, unter den
selben Schutzmaßnahmen wie vorher hin und musste von Baum zu Baum
springen, dass ich in Deckung blieb, denn der deutsche Offizier hatte
mir vorher gesagt, dass er das Feuer nicht einstellen lassen könne, weil
die Amerikaner in der Nacht und auch am Tage zuvor immer wieder unter
Feuerschutz vorgedrungen wären. Das könnte er jetzt auf gar keinen Fall
mehr dulden, denn jedes Mal, wenn Zivilisten da vorgesprungen wären zu
dem Bunker, dann hätten die Amerikaner diesen Feuerschutz genutzt um
weiter zu kommen. Verständlich. Und unter dieser Situation musste ich
jetzt sehen wie ich wieder zurückkam. Es ist aber nichts passiert und
ich bin heile und gesund zurück gekommen. Und dann hatte ich natürlich
große Eile, ich musste ein Fahrzeug haben. Ich bin mit meinem Fahrrad
zum Befehlsstand des Oberbürgermeisters, habe dem kurz berichtet, wenn
wir helfen können, dann jetzt sofort, ich muss nur sehen, dass ich ein
Fahrzeug bekomme. Ich wusste, dass ein kleiner Lieferwagen noch am
Beisenkamp stand. Da bin ich dann mit dem Fahrrad zum Beisenkamp. Da war
keine Gefahr, denn da waren keine Kampfhandlungen, höchstens natürlich
Tieffliegergefahr. Die Amerikaner waren ja erst durch den Bahnhof und
hatten sich in der Stadt festgesetzt. Dort bis zur Kaufhalle und am
Nordenwall hoch waren sie durch die Trümmer bis zur Nordstraße hoch
gerobbt und dann noch bis zum Marktplatz. So sind die dann dahin
gekommen bis Rosenberger. Wie ich mit dem Fahrrad von der Exkursion
zurückkam, über Südring in Richtung heutiges Rathaus, früher
Oberlandesgericht, da treffe ich an der Ecke den alten Pfarrer Torhorst.
Der sagte zu mir: „ Was machen sie denn hier, die Amerikaner sind doch
schon am Marktplatz, die können doch die ganze Südstraße einsehen, da
können sie doch nicht mehr durch fahren“. Ich sagte, Herr Pfarrer, ich
komme gerade vom Bunker, ich will die Leute versorgen. Da konnte der
Pfarrer nur staunen, er wollte mich ja warnen und mich beschützen, weil
die Kampfhandlungen ja am Markt anhielten. Aber er konnte mich je
genauso wenig schützen, wie ich andere auch. Wir waren ja alles arme
Hunde. Na, ich bin jedenfalls mit meinem Fahrrad zur Kaserne am
Beisenkamp. Dort habe ich dann den Wagen geholt und bin von dort zur
Kaserne Lindenallee gefahren. Das ist die heutige Paracelsus-Kaserne.
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( Anmerkung des Verfassers: Siehe auch anhängende
Fotoseiten. Dort befindet sich ein Bild der damaligen Infanterie-Kaserne
an der Lindenallee, heute Peter-Röttgen-Platz. Die Lindenallee heißt
heute Josef-Schlichter-Allee.) |
Die Kaserne hatte ja auch schon Treffer bekommen,
aber Gott sei Dank war die Küche noch intakt und ich fand einen guten
Küchenunteroffizier, der mir half, die Menschen zu versorgen. Das habe
ich ja vorhin schon erzählt. Aber ohne den wäre ich ja auch hilflos
gewesen. Das war nur eine von vielen Episoden. |
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Frage des Verfassers: Als die Fahrt zum Bunker stattfand und die
Amerikaner bei Rosenberger waren, können sie da eine zeitliche
Festlegung vornehmen ?. |
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Ich habe in meiner
schriftlichen Niederschrift immer wieder darauf hingewiesen, dass es mir
leider nicht möglich ist, da irgendwelche Dokumentationen vorzunehmen,
da ich selber immer zeitlich im Ungewissen war. Man lebte von einem Tag
in den anderen Tag, man hatte kein Radio oder so etwas, man lebt
wirklich von einem Tag zum anderen. Und ich habe immer wieder betont,
dass ich das aus meiner Erinnerung wiedergebe. Es waren aber die letzten
Tage des Krieges hier in Hamm. Wenn ich auch keine genauen Daten angeben
kann, so muss doch aus dem Zusammenhang feststellbar sein, wie diese
Erlebnisse zeitlich einzuordnen sind. Aber ich erinnere mich an eine
andere Episode. Ich bekam den Auftrag, nach Rhynern zu fahren um dort
gefallenes Vieh, erschossenes Vieh, sicherzustellen für die menschliche
Ernährung. Da musste ich zunächst mal einen Metzger finden und das war,
soweit ich mich erinnere, der Obermeister Plattmann, der sollte mich
begleiten. Ich hatte ja keine Ahnung, wie die Tiere, die Kadaver, zu
behandeln waren. Es ging ja darum, diese Tiere, die Kadaver, zu
verwerten. Da wurde nicht viel gefragt, ist es jetzt nun noch genießbar
oder ist es nicht genießbar, das würde der Metzger ja schon sehen ob es
genießbar war oder nicht. Na gut, da sind wir also den Rhynerberg rauf
gefahren. Bei Krähling in der Wiese, das war ein kleiner Bauer am
Rhynerberg , da war so linkerhand noch ein kleiner Kötter. Ja und bei
der Gelegenheit, als wir da waren, da sagte mir der Krähling, das war so
ein kleiner gedrungener Mann von etwa 65 Jahren, dass eine ganze Menge
Vieh da bei einem Tieffliegerangriff getötet sei und jetzt dort auf der
Weide liege. Teilweise hatten auch schon private Personen dort Vieh
weggeholt. Wie und wer das war, wollte oder konnte er nicht sagen, das
war mir jetzt aber auch gleichgültig. Wir haben das Vieh jedenfalls der
Verwertung zugeführt. Ich kann gar nicht mehr sagen wie und wer das
verwertet hat. Das war ja auch alles viel zu viel. Ich konnte dann ja
auch nicht überall sein. Jedenfalls wurden die Kadaver noch für den
menschlichen Genuß verwertet. Der Metzger war am Ort und ich habe die
Fläche dort verlassen. Ich war dann in der Fischerstraße, wo die Werler
Straße mündet. Da sagte man mir, dass die Amerikaner in der Nacht und am
Tage vorher das ganze Geländer dahinter beschossen hätten. Aus der Stadt
kommend auf Werl zu, ist ja alles flaches Gelände und gut einsehbar. Da
konnten die das ganze Gelände an der Fischerstraße von der Höhe aus mit
Maschinengewehren bestreichen. Und auf diesen Feldern an der
Fischerstraße, da sind die letzten jungen Soldaten, die ich selber habe
liegen sehen, getötet worden. Die sind da gefallen. Ich weiß nicht wie
viele, aber so 15 bis 16 jährige Jungens. Na jedenfalls an der
Fischerstraße. |
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Nachdem ich wieder zurück fuhr, da ist ein Lokal
auf der linken Seite. Auf der rechten Seite geht eine Straße ab, da kann
man auch nach Rhynern, na, jedenfalls vor dem Lokal hatte ich dann auch
noch ein Erlebnis. Wenn man aus der Stadt nach Rhynern fährt, da hatten
die Amerikaner einen Kompaniegefechtsstand eingerichtet, die waren schon
soweit vorgedrungen. An der Kleinbahn dort, |
( Anmerkung des Verfassers: Gemeint ist die Kleinbahnstrecke der
Ruhr-Lippe-Eisenbahn im Dreieck mit der Bahnstrecke nach Soest.) |
Da lag ein Haus etwa einen Meter tiefer als die
Straßensohle. Das lag damals schon so tief. Und in diesem Haus hatte
sich ein amerikanischer Offizier seinen Kompaniegefechtsstand
eingerichtet. Und in diesen wurde ich geführt. Die Soldaten hatten mich
festgehalten und mit gesagt, ich könnte nicht weiterfahren. Na ich habe
denen erklärt, dass ich die Bevölkerung versorgen müsse und unbedingt
weiter wollte. Dann musste ich mich ausweisen und jedenfalls ließ mich
der Offizier dann tatsächlich weiterfahren. Ich konnte dann auf der
Werler Str. weiter nach Rhynern und dann kommt nachher eine Kreuzung.
Ich kann nicht mehr sagen mit welcher Straße, aber rechterhand ist eine
Gaststätte, die ist geklinkert und sieht sehr nett aus. |
( Anmerkung des Verfassers: Gemeint ist offenbar
die Gaststätte „Nattkemper“, an der Kreuzung Werler Str. – Erikastraße). |
Da standen wieder Amerikaner, die hielten mich
auch wieder an, dass ich nicht weiterfahren sollte. Na da musste ich
wieder unheimlich viel reden. Und dann kam ich aber doch zum Rhynerberg
hin und wir konnten das Fleisch sicherstellen. Wenn ich heute daran
denke, geht mir vieles durch den Kopf. Solche Exkursionen die waren
nämlich voller Schwierigkeiten und Tücken mitunter, dass man heute
selbst noch bewundert, dass das alles geklappt hat. Na jedenfalls habe
ich das auch noch erlebt, dass die jungen Soldaten da, Jungs, Kinder,
noch lagen. Aber wir waren ja durch den Krieg alle verhärtet. So, dass
war wieder eine andere Episode. |
Aber so war das damals mit der Versorgung, das war
zu unglaublich. Immer wieder stand man im Brennpunkt, das war die
Aufgabe. Man musste sorgen, dass was ins Amt hineinkam , Bekleidung,
Hausrat, Herde, Öfen, all diese Dinge, Kleiderschränke, Möbel, alles war
zerstört, zertrümmert. Die Leute hatten nichts, sie standen alle vor dem
Nichts und jeder wollte zuerst versorgt werden. Das kam noch hinzu. Es
gab große Schwierigkeiten bei der Verteilung und es kam schon einmal
vor, dass jemand, der es besonders gut verstand die Ellenbogen zu
gebrauchen, der sich durchgeboxt hat und dann bekam, was er gar nicht
verdient hatte. Das kam dann alles noch hinzu und das belastete uns
natürlich. Uns, die wir ja vertraut waren mit den Schwierigkeiten,
belastete das unheimlich, seelisch, das muss man dabei berücksichtigen.
Das war keine Kleinigkeit und wir selbst haben auch gehungert. Das wir
das haben, die Beweise liegen heute fest. Überall. Ich sage das nicht
nur so aus dem Stegreif. Obwohl ich beim Ernährungs- und Wirtschaftsamt
tätig war, in leitender Position, hatte ich keine Möglichkeit mir irgend
etwas nebenbei zu beschaffen oder beschaffen zu lassen. Ich hätte mir
das auch nie erlaubt , obwohl wir oft beneidet wurden. Man hat mir oft
gesagt: „ Du, du bist doch beim Ernährungs- und Wirtschaftsamt und ihr
habt Hunger und habt nichts zu essen ? ha, das gibt’s doch gar nicht“. |
Aber so war eben die Meinung. Na ja. |
In hunderten von Episoden ist
man dann a noch aktiv geworden. Hier habe ich einen Zeitungsausschnitt
von 1984, der deutet nur auf einen Mann, den ich in der Zeit sehr gut
kennen gelernt habe. Karl Mecklenbrauck aus der Mark. Karl Mecklenbrauck
war Hauderer |
( Anmerkung des Verfassers: Fuhrunternehmer.) |
und Händler für landwirtschaftliche Erzeugnisse
aller Art. Er hatte an der Kleinbahn seinen Betrieb, ob er heute noch
existiert, weiß ich nicht. Hier ist ein Bericht aus der Zeitung vom 16.
Januar 1984. Er weckt in mir wieder die Erinnerung an die böse Zeit
unmittelbar nach dem Kriege, als die Stadt Hamm besetzt war, das ganze
Gebiet besetzt war, wie das Depot in der Mark ausgeplündert wurde. Das
Wehrmachtsdepot in der Mark enthielt wichtige, wertvolle Lebensmittel im
Grunde für die Wehrmacht damals. Große Silos waren da, große
Vorratslager mit Lebensmitteln aller Art. Riesen Weizensäcke, große
Partien lagen oben auf dem Boden. Zweizentnersäcke. Treppen gab es zu
den höheren Geschossen nicht. Ausnahme kleine Wendeltreppen. Die Ware
wurde mit Aufzügen transportiert. Die Aufzüge waren aber alle zerstört.
Strom gab es nicht. Wasser gab es auch nicht. Die Plünderer haben
versucht, auf den Rutschen, die zum Transport abwärts gedacht waren für
die Säcke und Güter, haben die versucht da oben rauf zu kommen, haben
dann die Säcke runter geworfen oder runter gekippt. Jedenfalls bekam ich
den Auftrag , Oberbürgermeister Deter war nicht mehr da, Stadtbaurat
Haarmann hatte die Aufgaben übertragen bekommen von der englischen
Besatzung, und der beauftragte mich, da hinzufahren und zu sehen, was
da los ist, was da läuft und was da nicht läuft und zu berichten. Aber
ich bekam ja immer solche ausgefallenen Aufgaben, die gehörten ja zu
unserem Ressort. Man muss dabei immer bedenken, dass ja keine Männer
mehr da waren. Die Verwaltungsmänner, die während des Krieges hier
bleiben durften, dass waren alles alte Leute und die hatten sich in
Sicherheit gebracht. Die waren irgendwo evakuiert, die waren außerhalb
Hamm`s in Sicherheit gegangen. Die wenigen Aktiven die noch da waren,
das war außer Karl Dehnert, der das Amt leitete damals, das war mein
Vorgesetzter, mein direkter Vorgesetzter, Otto Seewald und ich. Wir
drei, wir waren eigentlich die einzigen Männer, die noch für das gesamte
Ressort zuständig waren, die noch was tun konnten. Unsere
Verteilungsstellen, sieben an der Zahl, im gesamten Stadtgebiet
verteilt, die ruhten. Personal war überall in Sicherheit gegangen. Es
war keiner da, der hier Verantwortung übernehmen konnte und dann ging es
erst langsam wieder los. Es musste alles langsam wieder aufgebaut
werden. Lebensmittelkarten mussten entworfen werden und so weiter. Ja
und dann hatte ich also den Auftrag da oben in dem Lager Mark
nachzusehen, was noch zu retten war. Ja und da sah ich ja dann die
Bescherung. Da waren die Plünderer da oben eingedrungen und hatten die
Zweizentnersäcke mit Weizenmehl da oben runter geworfen. Die waren
geplatzt. Das Mehl war überall verstreut und auch andere, wertvolle
Lebensmittel waren teilweise damit vermischt und wurden so vernichtet,
weil die gierige Meute nicht mehr daran dachte, auch andere, nicht nur
sich selbst zu versorgen und alles nahm, was nicht niet- und nagelfest
war. Die großen Rutschen waren mit allen möglichen Lebensmitteln
verklebt und vermischt. Das gleiche geschah auch auf Maximilian. Da
lagen riesige Vorräte an Lebensmitteln, Konserven, vor allem Konserven
aller Art. Beste, beste Konserven. Sie können sich wahrscheinlich nicht
vorstellen, dass ich nicht eine davon selbst bekam. Ich wagte gar nicht,
mir da eine anzueignen. Unten in dem Lager Maximilian, da waren entweder
englische oder amerikanische Soldaten, das kann ich nicht mehr genau
sagen, die bewachten das Lager vor Plünderern. Das war an und für sich
eine große Geste. Ich vermute das es Engländer waren, ja, ich glaube das
waren Engländer. Und unmittelbar neben dem Verpflegungslager Maximilian,
da war ein russisches Gefangenenlager. Da war ein großer Drahtzaun drum
gespannt. Wie viel Leute darin waren, das weiß ich nicht genau.
Jedenfalls als ich den Auftrag bekam dahin zu fahren, da zu gucken was
da los ist, da waren die Russen ausgebrochen aus dem Lager und hatten
sich überall breit gemacht, auch in dem Versorgungslager und in der
gesamten Umgebung von Maximilian. Die waren in die Getreidesilos
eingedrungen, hatten die Elektromotoren da ausgebaut, hatten sich selbst
Elektromotoren angeschlossen. Man musste sich wundern, dass die das
überhaupt konnten. Von deutschen Soldaten sagte man ja, die kannst du
mit einer Blechdose in den Wald schicken, dann kommen die mit einem
fertigen Maschinengewehr wieder raus. Das habe ich nie in keiner Weise
so umgesetzt. Ich meine, die deutschen Menschen sind schon sehr tüchtig,
aber die Russen, wie die aus der Not eine Tugend machten, das war schon
unglaublich. Die hatten z.B. Elektromotoren, von 40 PS und stärker, für
die Elevatoren und für die gesamten Triebwerke des Lagers, ausgebaut und
, ob sie nun die schweren Maschinen gebrauchen konnten oder nicht, das
war denen egal, sie haben sie jedenfalls ausgebaut und versucht in
Betrieb zu setzen. Das war aber erstaunlich, mit den Mitteln, die sie
sich aus dem Lager angeeignet hatten. Zum Beispiel Kabel abgebaut und
sich selbst eine Stromversorgung für sich gebaut, für alles mögliche.
Die Leute wussten sich zu helfen. Dann haben sie ganz primitive kleine
Mühlen gebaut und in diesen Mühlen haben sie den Weizen geschrotet und
dann haben sie das ein bisschen gesiebt und das grobe, was sie nicht
gebrauchen konnten, den eigentlichen guten, wertvollen Schrot, den
Weizenschrot , den haben sie einfach da in die Geleise geschüttet. Der
lag dann da herum und die Bevölkerung die hungerte bitter. Da hatte ich
nun die Aufgabe, da dafür zu sorgen, dass das Getreide da herauskam und
die Lebensmittel. Ich sagte nur, das ist unmöglich. Jetzt wird das da
unten noch bewacht. Aber wie, das sah man ja. Da muß jetzt eine
verantwortungsbewusste Person eingesetzt werden. Wir haben doch keine
Fahrzeuge, keinen Kraftstoff, gar nichts. Nun fangen sie da mal an.
Bringen sie das Getreide mal zur Mühle. Wie soll das gehen ? Das wäre ja
ein Wunder. Ich habe das aber besorgen können, auf Bezugsscheinen, die
sonst nicht zu bekommen waren, weil es hier um die Versorgung der
Bevölkerung ging. Ich konnte alles bekommen und mich durchsetzen, Und
jetzt sollten wir anfangen, dass auszuladen. Jetzt wir vor einem
riesigen Problem. Nun bin ich ja im Leben immer durch eine harte Schule
gegangen und das war mein Vorteil, das hat mir auch, wie immer,
geholfen, ich betone das immer wieder. Aufgeben gab es für mich nicht.
Ich habe nie Angst vor etwas gehabt und das hat mir auch hier geholfen.
Ich wollte nun ja wissen, wo eigentlich die Leute waren von der WTAG,
von der Münsterischen. Die Münsterische, die hatte ja die Verwaltung
dieser Güter übernommen und die Lagerung. Das Getreide dass lag so einen
Meter, bis einen Meter zwanzig Zentimeter hoch, in so großen Hallen
dahinten. Ich sehe das heute noch. Die Räume waren hell, beleuchtet und
luftig. Das Getreide musste viel bewegt werden, damit es nicht verdarb
und zusammenklumpte. Na und da habe ich gefragt und gefragt, bis ich
endlich erfuhr, so von Leuten aus der Nachbarschaft die da wohnten, da
kannte ich erfahren wie der Lagermeister hieß und wo der war. Mein
Fahrzeug, zum Beispiel, das durfte ich nie irgendwo draußen stehen
lassen, das habe ich dann bei den Leuten hinten in den Hof reingestellt
, sonst währe es weg gewesen. Mein Fahrrad, das haben sie mir fast unter
dem Hintern weggeklaut. So war das damals. Ja und dann habe ich von den
Leuten erfahren, wo der Meister von der Münsterischen war. Ich habe den
auch gefunden und gefragt, ob er seine Leute auch zusammen kriegen kann.
Ach ja, meinte der, aber das ist zu gefährlich und so weiter und die
Russen, die machen uns kaputt. So wörtlich. Ach, ich sage, da sorgen wir
schon für, dass nichts passiert. Im Augenblick ist noch die englische
Einheit hier, man sah ja auch den Posten noch draußen stehen und wir
mussten ja auch für Brot sorgen für das Lager. Da hatten uns die
Engländer ja den Auftrag gegeben, hier der englische Befehlshaber in
Hamm. Ich habe den Namen jetzt vergessen. |
(Anmerkung des Verfassers: Vorläufiger Kommandant
der englischen Besatzungsmacht in Hamm war der Major Reilly. Mit dem
Eintreffen der englischen Kreiskommandantur wurde die Hammer Polizei von
dem Public Safety Officer A.M. Mitchell S/Ldr. überwacht. Er dürfte auch
die Stadtverwaltung unter seinem Befehl gehabt haben.) |
Aber dieser englische Major, der hatte einen
tüchtigen Handlanger. Handlanger meine ich in Anführungsstrichen. Das
war ein deutscher Engländer. Der sprach fließend deutsch, das war ein
geflüchteter Deutscher, der in englischen Militärdiensten stand. Der war
da Sergeant, also Feldwebel. Und dem wurde ich jetzt da ausgeliefert,
kann man wohl sagen. Der Mann war mein Verbindungsmann zur englischen
Behörde. Mit dem habe ich dann auch hinterher eine ganze Menge Tricks
durchgeführt, der hat mir geholfen. Das war ein ganz interessanter
Mann. Aber wir musste ja nun erstmal die im Lager zusammengepferchten
Russen, das waren mehrere tausend Personen, darunter sogar Frauen,
versorgen. Mit den dürftigen Lebensmitteln, die wir zur Verfügung
hatten. Und dafür haben wir dann tatsächlich das Getreide aus dem
Versorgungslager Maximilian herausschaffen lassen und haben es in die
hiesigen Mühlen transportiert, damit wir da das Getreide zu Mehl mahlen
lassen konnten und dann verarbeiten zu Brot. Mit diesem Brot mussten wir
das Lager Maximilian versorgen. Das erwähnte ich aber vorhin schon, wie
schwer das alles war. Einmal hat es sich so ergeben, das war in der
Trümmerzeit gut möglich, dass in einer Bachstube Brot gebacken wurde und
ein Glassplitter hatte sich in einem Brot befunden, das nun,
unglücklicherweise muss ich sagen, in das Lager Maximilian hineinkam.
Wir wusste natürlich, kein Mensch hat geahnt, dass da ein Splitter drin
war, was der für eine Aufregung in dem Lager hervorrufen würde. Die
Russen hatten in ihrem Lager ein eigenes Kommando und zwar herrschte das
mit den Russen und über die Russen, ein russischer Offizier im Range
eines Hauptmannes , mit dem ich oft zu tun hatte. Er hatte einen
Adjutanten, einen russischen Leutnant, der Deutsch sprach. Das war für
uns ein Glück, so hatten wir die Verbindung zu dem russischen Kommandant
auch gefunden. Und den musste ich auf Knien bitten, das wir das Getreide
da überhaupt raus bekamen. Das ist ja dann auch gelungen, mit Hilfe
dieses Leutnant. Jetzt hatten wir das Brot da abgeliefert, der Bäcker
hatte es da abgeliefert und man hatte den Splitter im Brot gefunden und
schon ging das Theater los. Die haben sofort gemeutert und haben
verlangt, dass wir, die Leute vom Ernährungs- und Wirtschaftsamt dahin
kommen sollten. Nun, ich war ja immer unterwegs und mein Vorgesetzter,
Karl Dehnert und Otto Seewald, die beiden mussten da hin. Die sind von
der englischen Militärregierung dahin gebracht worden und mussten sich
überzeugen, dass es stimmte, mit dem Splitter. Die hat man dann in einen
Hundezwinger eingesperrt und das muss ich besonders hervor heben, mit
welchen fanatischen, satanischen Mitteln die Leute vorgegangen sind
gegen uns, aber sie waren ja verhetzt durch den Krieg und es ist ja
immer wieder entschuldbar. Sie haben Karl Dehnert und Otto Seewald in
einen Hundezwinger eingesperrt und haben vor aller Augen, haben ihnen
ein Brot gegeben, das mussten sie da aufessen, damit die Leute auch
sehen konnten, dass das Brot nicht vergiftet war und dass sich sonst
nichts darin befand. So ist mit uns damals umgesprungen worden. Das sind
so Episoden, die ich erlebt habe. Übrigens, als ich 1945 meine neue
Aufgabe im Ernährungs- und Wirtschaftsamt der Stadt Hamm übernahm, da
war bei der Stadt gerade ein neuer, sehr pfiffiger Verwaltungslehrling
gerade angefangen. Es war unser heutiger Verwaltungschef, Werner
Meierkord. |
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( Anmerkung des Verfassers: Das Interview mit
Herrn Heiermann wurde absichtlich nicht redaktionell überarbeitet. Ich
glaube, dass so ein Stück Authentizität bewahrt wird. So wie es Herr
Heiermann in seiner Erinnerung hatte und so wie er es erzählt hat, so
soll es auch erhalten und überliefert werden.) |
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